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Rechner der Zukunft (02/2017)

Die wundersame Eigenschaft des Majorana- Fermions

Text: Tim Schröder

Künftige Quantencomputer versprechen, herkömmliche Computer um Längen zu schlagen, weil sie mit hoher Leistung parallele Rechenoperationen ausführen können. Das Problem: Noch können die quantenmechanischen Speicherbausteine, die Qubits, Information nicht lange speichern.

Prof. Dr. Jelena Klinovaja
Prof. Dr. Jelena Klinovaja

Als Speicher dient Qubits ihr Spin, also die Ausrichtung des Magnetfeldes eines Elementarteilchens wie beispielsweise des Elektrons. Dieser Spin kann bestimmte Zustände annehmen – das heisst, im Raum unterschiedlich ausgerichtet sein. Übertragen auf den Computer entsprächen verschiedene Ausrichtungen dem Zustand AN und AUS, also im binären Code der 1 und der 0.

Qubits sind heute noch ausgesprochen instabile Speicher, die sensibel auf Störungen in der Umwelt reagieren – insbesondere auf Wärme oder elektromagnetische Felder, wie sie in elektronischen Systemen auftreten. Innerhalb weniger Sekunden oder gar in Sekundenbruchteilen kann der Spin kippen, sodass die Information verloren geht.

Für den Quantenrechner der Zukunft braucht es also gewissermassen stabilere Speicherbausteine. Auf dieses Ziel hin arbeiten Forscherinnen und Forscher der Universität Basel, unter ihnen Physik-Professorin Jelena Klinovaja, eine Expertin für die Physik kondensierter Materie. Jelena Klinovaja gehört zu jenen Spezialisten, deren Steckenpferd die Suche nach einem ganz besonderen Elementarteilchen ist, das – so die Theorie – deutlich unempfindlicher auf störende elektromagnetische Felder reagieren dürfte und damit ein vielversprechender Kandidat für den Quantencomputer der Zukunft wäre.

Postulat eines italienischen Physikers

Konkret gemeint ist das Majorana-Fermion, ein Elementarteilchen, das vor mehr als 70 Jahren der italienische Physiker Ettore Majorana aufgrund theoretischer Berechnungen postuliert hatte. Im Detail geht es beim Majorana-Fermion, wie so oft in der Physik, um zwei Gegenspieler: ein Elementarteilchen und sein Antiteilchen. Beispiele für solche Paare gibt es zur Genüge, das Proton und das Antiproton etwa oder das Elektron und das Positron. Allen Paaren ist gemein, dass die Partner recht ähnliche Eigenschaften haben, aber auch, dass es stets irgendeinen wesentlichen Unterschied gibt. Anders beim Majorana-Fermion. Aufgrund theoretischer Überlegungen kam Ettore Majorana zu dem Schluss, dass es Materieteilchen geben müsse, die zugleich ihr Antiteilchen sind.

Diese exotischen Teilchen haben zudem eine beinahe wundersame Eigenschaft: Tauscht man zwei solche identische Teilchen durch eine Drehung umeinander aus, kann diese Veränderung als Speicher für die Quanteninformation genutzt werden. Da dieser Austausch nicht von einem speziellen Weg abhängig ist, nennt man diese Art von Qubits oft auch «topologisch». Dabei steht der Begriff «topologisch» dafür, dass eine Eigenschaft unabhängig von der Art der Veränderung – im konkreten Fall dem Austausch und dem dabei beschriebenen Weg – erhalten bleibt.

Nachweis von Majorana-Zuständen

Tatsächlich gelang es vor wenigen Jahren einem niederländischen Forscherteam in einem komplizierten Versuchsaufbau, erstmals sichere Anzeichen für die Existenz von Teilchen mit Majorana-Eigenschaften zu messen. Sie befestigten einen Nanodraht aus Halbleitermaterial auf einem Supraleiter und veränderten die Magnetfelder und Spannungen in dem System so, dass an den Enden des Nanodrahts Signale messbar wurden, die theoretisch denen von Majorana-Teilchen entsprachen. Dieses Prinzip wurde weltweit von mehreren Arbeitsgruppen perfektioniert – so auch von Jelena Klinovaja und anderen Forschenden der Universität Basel.

Um die exotischen Majorana-Teilchen überhaupt nachweisen zu können, kommt es vor allem darauf an, sehr reine Materialien für die Experimente zu synthetisieren. «Ich bin Theoretikerin», betont Jelena Klinovaja. «In meiner Arbeitsgruppe konzentrieren wir uns darauf, Materialsysteme zu entwickeln, mit denen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit quantenmechanische Zustände erzeugen lassen, die denen eines Majorana-Fermions oder noch exotischeren Teilchen – den sogenannten Parafermionen – entsprechen.» 

Die theoretischen Überlegungen gehen dann in die praktische Arbeit anderer Arbeitsgruppen an der Universität Basel ein, die diese nutzen, um massgeschneiderte Halbeiter-und Supraleiteroberflächen zu erzeugen. «Das ist das wirklich Tolle an der Arbeit hier in Basel – Theorie und Experiment finden hier Tür an Tür statt», sagt Jelena Klinovaja. «Unsere theoretischen Überlegungen können direkt praktisch umgesetzt werden.»

Störungen genauer verstehen

Jelena Klinovajas Arbeit erinnert ein wenig an die Erforschung eines Gegenstands, von dem nur der Schatten sichtbar ist: Das Teilchen konnte sie noch nicht fassen, wohl aber seinen elektromagnetischen Schatten – seine Eigenschaften. Was ihre Arbeit so schwer macht, ist die Tatsache, dass sie quasi die Nadel im Heuhaufen sucht. Majorana-Zustände treten nur in extrem geringer Zahl auf. «Es ist fast so, als würden wir mit einem System arbeiten, das so gross wie die Erde ist, aber wir müssen eine einzige Person finden», sagt die Forscherin. Hinzu kommen weitere Herausforderungen: Majorana-Zustände sind verglichen mit anderen Elementarteilchen zwar robuster, was sie zum vielversprechenden Qubit-Speicher künftiger Quantencomputer macht. «Unsere theoretischen Überlegen zeigen aber auch, dass es andere Störgrössen in der Umwelt gibt, welche auch die Majorana-Teilchen beeinflussen.» 

Bevor ein Einsatz im Quantencomputer in greifbare Nähe rückt, müssen diese Störgrössen genauer verstanden sein. Jelena Klinovaja will diese Effekte auf die Majorana-Teilchen und auch Parafermionen daher künftig genauer untersuchen. Ein fast geisterhafter Forschungsansatz: Majorana-Zustände konnten noch nicht hundertprozentig nachgewiesen werden, Klinovaja und ihre Kollegen wollen aber trotzdem die Eigenschaften der Majorana-Fermionen erforschen. Das ist fast so, als versuchten sie anhand eines unscharfen Schattens die Eigenschaften und Schwachstellen des entsprechenden Gegenstands zu ergründen – eine enorme Herausforderung. Dass Klinovaja soeben mit einem angesehenen ERC-Starting-Grant ausgezeichnet wurde, um diese Forschung voranzutreiben, unterstreicht die Bedeutung ihrer Arbeit auf diesem hochkompetitiven Gebiet.


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