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Hüben und drüben. (02/2023)

Welche Herausforderungen bringt die Energiewende, Herr Weigt?

Text: Hannes Weigt

Erneuerbare Energiequellen sollen fossile Brennstoffe ablösen. Welche offenen Fragen bringt das mit sich? Antworten aus den Wirtschaftswissenschaften.

Hannes Weigt
Prof. Dr. Hannes Weigt

Das Stromsystem des 20. Jahrhunderts bestand vornehmlich aus fossilen und nuklearen Kraftwerken, die je nach Bedarf an- und abgestellt wurden. In Zukunft sollen Wind- und Sonnenenergie unseren Strombedarf decken, die aber massgeblich vom Wetter abhängig sind. Aktuell befinden wir uns im Übergang vom alten ins neue System, und wir sehen uns entsprechend mit offenen Fragen konfrontiert. Eine zentrale Frage ist die nach dem besten Technologiemix, um die Versorgungslücke zu stopfen, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Unter anderem kommen hierfür Wasserkraft und die Nutzung von Biomasse infrage, sie können diesen Job aber nicht ganz alleine übernehmen. Speichertechnologien, Wasserstoff, Power-to-Gas oder auch flexible Verbraucher könnten ebenfalls einen Beitrag leisten.

Im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken wird zudem eine deutlich höhere Kapazität an Wind- und Sonnenkraftwerken benötigt, um ausreichend Energie bereitzustellen. Sprich, statt einigen grossen Kraftwerken hier und da wird es sehr viele deutlich kleinere Anlagen überall verteilt benötigen. Dabei wird auch die lokale Versorgungsnetzstruktur an Bedeutung gewinnen, denn wenn auf einem Dach die Sonne scheint, tut sie das auch auf allen Nachbardächern, und der Strom aus diesen Fotovoltaikanlagen muss irgendwo hin. Das alte System war darauf ausgelegt, Strom zum Kunden zu bringen, nicht Strom von dort abzutransportieren. Das Netz der Zukunft muss daher auch für diese Situation ausgelegt sein.

Die Energiewende hat aber auch Folgen für den Strommarkt: Früher waren die Strompreise auf den europäischen Märkten tagsüber meist höher als nachts, da wir tagsüber mehr Strom benötigen. Heute hängen sie zunehmend von der Wetterlage ab: An sonnigen Tagen kann die Stromeinspeisung durch Solaranlagen den Preis deutlich nach unten drücken. In Zukunft werden sich diese Dynamiken noch verstärken und konventionelle Kraftwerke unter Druck setzen, da diese dann nicht mehr so viel Einnahmen haben wie früher.

Das schafft aber auch Anreize für die Nutzung von Speichertechnologien, die in Stunden mit niedrigen Strompreisen Batterien laden oder synthetische Kraftstoffe herstellen. Mit dieser gespeicherten oder transformierten Energie können Stromanbieter dann in Zeiten hoher Preise eine Rendite erwirtschaften. Wie viel dieser Dynamiken bei uns Endkunden ankommen, ist eine weitere offene Frage. Heute haben wir meist recht fixe Tarife für unseren Strombezug, entweder vollkommen zeitunabhängig oder einen Tag/Nacht-Tarif. Das passte noch halbwegs zum alten System, aber nicht mehr sonderlich gut zum zukünftigen. Wann und wie hier eine Anpassung erfolgen wird, ist Bestandteil wissenschaftlicher Diskussionen. Wenn wir aber das Potenzial von Elektroautos, Wärmepumpen und Hausbatterien nicht ungenutzt verpuffen lassen wollen, muss es dafür auch die notwendigen Anreize bei den Haushalten geben.

Hannes Weigt ist Professor für Energieökonomie und forscht zu aktuellen Fragen der Energiedebatte mit Fokus auf den Schweizer und den europäischen Strommarkt.


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