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Dossier Migration – Menschen unterwegs (02/2016)

Ein fast vergessener Pionier

Text: Martin Hicklin

Gesund zu altern ist der Wunsch vieler und ein heisses Thema in der Forschung. Als ein Vorbereiter der modernen Altersforschung gilt der Basler Physiologe Fritz Verzár (1886–1979). Er ist weitgehend vergessen, doch seine Ideen werden heute wieder aufgegriffen.

Collin Ewald, 35-jähriger SNF-Förderungsprofessor an der ETH Zürich, verfolgt eine heisse Spur. Am Biozentrum der Universität Basel ausgebildet, hat der Basler am Friedrich-Miescher-Institut seinen Master erworben und dann in New York auf dem Gebiet der Alzheimer-Forschung einen Doktor gemacht. Darauf wandte er sich am Joslin Diabetes Center der Harvard Medical School der Frage zu, welche Faktoren gesundes Altern – Healthy Aging – und Langlebigkeit fördern.

Dabei gelang Ewald eine Entdeckung: Er fand handfeste Belege dafür, dass der beim Altern scheinbar unaufhaltsame Abbau der Stützgewebe und ihrer Funktionen ausserhalb der Zellen (der sogenannten extrazellulären Matrix) aufgehalten oder gar umgekehrt werden kann. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Insulin/IGF-1 genannte Wachstumsfaktor und seine Signalkette. Wird er gehemmt, bewirkt das am andern Ende, dass der Schwund im Netzwerk zwischen den Zellen umgekehrt wird. Gleichzeitig wird die sich mit jedem Jahr mehr ausdünnende Matrix mit neuen Kollagenen, diesen überall im Körper vorhandenen elastischen Stütz- und Faserproteinen, aufgefüllt.

Kollagene und Alterungsprozess

Das schien man vorher übersehen zu haben. «Zuerst habe ich geglaubt, das könne gar nicht stimmen», sagt Ewald, «aber dann haben wir die Daten aller mit Langlebigkeit befassten Modelle verglichen und gesehen, dass mit Langlebigkeit immer auch die Kollagenproduktion wieder hochgeschaltet wird.» Kollagene, die immerhin einen Drittel aller Proteine ausmachen, müssen also sehr direkt mit dem Altern zu tun haben. Die Arbeit wurde in «Nature» publiziert und war Anlass zu berechtigtem Stolz. «Ich hatte geglaubt, wir seien die Ersten», sagt Ewald heute. Doch dann sei er bei der Recherche plötzlich auf den Namen eines Mannes gestossen, der mehr als 50 Jahre zuvor in Basel die Kollagene als Altersanzeiger postuliert und gründlich zu untersuchen begonnen hatte.

Prof. Fritz Verzár. (Bild: Universitätsbibliothek Basel; Fotograf: Teichmann)
Prof. Fritz Verzár. (Bild: Universitätsbibliothek Basel; Fotograf: Teichmann)

Fritz Verzár hiess der Forscher, und es lohnt sich gewiss, an ihn zu erinnern. Schon weil er sozusagen drei Leben hinter sich hatte, als er 1979 mit 93 Jahren als Arlesheimer Bürger starb. Das erste in Ungarn, wo er als Sohn eines Arztes Medizin studiert und sich auch als Organisator in Kliniken einen hervorragenden Ruf verschafft hatte. Und doch war er, obwohl er in der Heimat wohl hätte Karriere machen können, 1930 einem Ruf an die Universität Basel gefolgt, in den für einen Forscher wie ihn «paradiesischen Westen». Dort übernahm er im ehrwürdigen, aber damals eher unzweckmässig eingerichteten Vesalianum den Lehrstuhl für Physiologie: im Haus, das einst unter DNA-Entdecker Friedrich Miescher erbaut worden war. 44 Jahre alt war Verzár, als er in Basel sein zweites Leben begann.

Forschungen zur Ernährung

In Basel setzte Verzár seine Arbeiten in Neurophysiologie über Vitamine und Hormone weiter, studierte mit experimentellem Geschick und Erfolg die Absorption von Zuckern im Darm und arbeitete mit dem späteren Nobelpreisträger Tadeus Reichstein auf dem Gebiet der Nebennierenrindenhormone zusammen. In St. Moritz, wo er mit Frau, Sohn und Tochter regelmässig Ferien machte, begann er Höhenphysiologie zu betreiben und Kondensationskeime zu zählen. Weitherum galt er als führender Ernährungswissenschaftler, was ihm bereits 1942 den Auftrag eintrug, ein Ernährungsprogramm für die Nachkriegszeit zu planen. Für die Welternährungsorganisation studierte er ab 1949 nebenbei das «Coca-Problem» in Peru und Bolivien.

1956, schon auf dem Weg in die Emeritierung, übertrug ihm der Bundesrat die Aufgabe, den angeblich Besorgnis erregenden Ernährungs- und Gesundheitszustand der Bergbevölkerung zu studieren. Doch was heisst Emeritierung – für Verzár war sie Anlass, ein drittes Leben zu beginnen. Es sollte vor allem der noch ziemlich exotischen «experimentellen Gerontologie» gelten. Nicht um jünger zu werden, sondern um herauszufinden, was beim Altern molekular genau geschieht. 1952 hatte ihn bei einem Besuch in Basel der als «Vater der Gerontologie» bezeichnete Pionier Vladimir Korenchevsky dafür begeistert – so sehr, dass er mit Unterstützung seines Freundes Karl Miescher, damals Forschungsdirektor der Ciba, eine Kolonie von Ratten gründete, an denen er das Altern studierte.

Rattenschwanzsehne als Modell

Um die 1000 Tiere waren am Anfang zu zählen, und die Zahl sollte sich später mehr als verdoppeln. In einem kleinen Labor in der Anatomie begann Verzár fleissig, ein Phänomen des Alterns zu untersuchen: den Um- und Abbau der Kollagene. Als Modell und Quelle diente ihm die Schwanzsehne seiner Ratten. Um Platz zu gewinnen, mietete er an der Klingelbergstrasse 11 eine Wohnung im vierten Stock, wo sich zeitweise in Küche und Zimmer die Forschenden drängten. Als ihm die US-Dystrophiegesellschaft eine Finanzierung anbot und sich auch die Industrie für seine Arbeit zu interessieren begann, wurde es für Verzár Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.

Beweis für die mitreissende Art des nun über Siebzigjährigen ist, dass er eine Stiftung für experimentelle Altersforschung mit hochkarätig besetztem Stiftungsrat gründen konnte, dem Prominenz aus Politik, Industrie und Universität angehörten. Aber den wirklichen Beweis für seine Überzeugungskraft kann man darin sehen, dass mit Geldern der chemischen Firmen am Nonnenweg 7 ein Haus gekauft werden konnte, in dem nun ein «Institut für experimentelle Gerontologie» seinen lebhaften Betrieb aufnahm – mit Kolonien von Ratten und Krallenfröschen. Das Institut wurde bald zu einem Zentrum für Gerontologieforschende. Noch heute erzählt die Ärztin Daniela Schlettwein-Gsell, die als junge Medizinerin im Bergbevölkerungsprojekt engagiert war, begeistert von der stimulierenden Atmosphäre und dem rastlos forschenden Verzár. Auch der Biologe Marco Ermini, damals Doktorand im Haus, lobt die fördernde Art, mit der der Forscher mit jungen Mitarbeitenden umging. Er habe für jeden immer ein offenes Ohr gehabt.

Die Arbeiten mit Kollagen stiessen auf weites Interesse, und die Rattensehne blieb ein beliebtes Modell in der Altersforschung. Erst in den 1970er-Jahren schloss das Institut seine Tore, nachdem auch das Haus zur Deckung der Betriebskosten verkauft worden war. Verzár zog sich 1976 zurück, und drei Jahre später verstarb er in Dornach friedlich im Schlaf. Am 18. September dieses Jahres wäre er 130 geworden.


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