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Bild und Freiheit (01/2017)

Sichtbarer Körper, verborgene Macht

Text: Gerald Wildgruber

Der russische Künstler Pjotr Pawlenski versteht seine Arbeiten explizit als politisch – in seinen aufsehenerregenden Aktionen setzt er in extremer Weise seinen Körper ein.

Der Künstler Pjotr Pawlenski im November 2015 vor der Geheimdienstzentrale Lubjanka in Moskau, deren Tür er zuvor in Brand gesetzt hat. (Bild: ciconia ciconia Verlag, Berlin)
Der Künstler Pjotr Pawlenski im November 2015 vor der Geheimdienstzentrale Lubjanka in Moskau, deren Tür er zuvor in Brand gesetzt hat. (Bild: ciconia ciconia Verlag, Berlin)

Überträgt man Paul Klees berühmt gewordene Formulierung «Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar» in den Bereich der politischen Kunst, so sind die Arbeiten Pawlenskis dadurch genau getroffen. Der Geist der Staaten, ihr Mechanismus ist auf Anhieb nicht sichtbar. Es sind, um mit dem Historiker Ernst Kantorowicz zu sprechen, «Arcana Imperii», also Geheimnisse der Herrschaft. Darin wird der Staat in einem bestimmten Sinn insgesamt als Geheimdienst begriffen. Wie vormals die Kirche, ist er die Geheimnisfreundin. Das den Blicken der Bevölkerung Entzogene ist eine wichtige Bedingung seiner Macht. Die künstlerische Aktion geht auf die «Arcana» der Macht und nimmt sich das zum Ziel, was man die Ikonostasen des Staats nennen könnte.

Die Materialien von Farbe, Licht, Klang und Wort sind nur indirekt Mittel dieser Kunst. Ihr eigentliches Material sind eben jene vielfältigen Organe der Macht, die durch Aktionen im öffentlichen Raum auf den Plan gerufen werden. Polizei, Medizin, Psychiatrie, die Judikative, Instanzen der von Michel Foucault so genannten Biomacht als Aufseherin über alle Aspekte des Lebens einer Bevölkerung. Die Bildproduktion dieser Instanzen, zum Beispiel Aufnahmen von Überwachungskameras, geht in den künstlerischen Prozess ein. Damit werden diese Organe selbst zu genuin künstlerischen Exekutivorganen, sie sind «zu Objekten der Ausführung geworden, haben geholfen, ein Bild zu entwerfen» (Pawlenski).

Die künstlerische Aktion ist eine Herausforderung. Diese erfordert Klugheit und Überlegung, nicht ein Opfer: «Und der Künstler ist niemals ein Held, denn der ‹Held› ist ein Opfer, das die Gesellschaft der unersättlichen Macht zum Frasse vorwirft», sagt Pawlenski. Anders als der Märtyrer nutzt der neutralisierte Künstler niemandem. Das ist der veränderte Sinn, den man dem alten kunsttheoretischen Begriff der Virtuosität geben kann. Virtuosität ist die Fähigkeit der kalkulierten Herausforderung der Macht, und sie ist die Kunst, in dieser Konfrontation mit einem übermächtigen Gegner nicht unterzugehen.

Die Gefahr bleibt beträchtlich, im Falle Pawlenskis die Verhängung von Haft und Zwangspsychiatrisierung. Doch der virtuose Künstler versteht, wie genau und wo in das System der staatlichen Organe eingegriffen werden muss, damit diese sich, gegen ihren Willen, in die prekäre Statik einer arretierten Situation begeben, die für Momente wie das Tableau vivant der Macht erscheint.

Die Aktionen sind bekannt geworden durch ihre Dimension der Selbstverletzung. Rein funktional ist dies einfach die zuverlässige Einbestellung der im Hintergrund agierenden Seite der Macht. Sich selbst Gewalt anzutun, ist Herausforderung der Biomacht als Aufseherin über das Leben. In dieser Auseinandersetzung fungiert der Körper nun aber gerade als Agent des Masses und der Endlichkeit. In der Populärkultur wird der Körper gewöhnlich als das Mittel der Transgression vorgestellt, der sich dann Frömmigkeit und Askese entgegensetzen können. In der Kunst aber konfrontiert der endliche Körper ein Machtsystem, das sich nach Pawlenski gerade selbst durch eine beständige Produktion von Masslosigkeit und Irrationalität auszeichnet. Auf paradoxe Weise ist der Körper der massgebliche Anhaltspunkt des Verstandes, er bringt die Macht zum Stehen und macht sie sichtbar. Wie in Dostojewskis instruktivem Begriff der administrativen Ekstasen war auch Pawlenskis Erfahrung die der Obsessivität staatlicher Macht. Sein Ziel ist es darum, den «bürokratischen Wahnsinn in eine Sackgasse» laufen zu lassen.

Im Dezember 2016 wurde, nach zahlreichen vorausgehenden Strafverfahren, Geld- und Haftstrafen der Vorwurf der sexuellen Nötigung gegen Pjotr Pawlenski und Oksana Shalygina erhoben. Das Paar verliess darauf mit seinen beiden Töchtern Russland und bat in Frankreich um politisches Asyl. Das Verfahren ist anhängig.


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