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Naher Osten – Region in Bewegung (01/2019)

Arbeitslos aus Altersgründen.

Text: Christoph Dieffenbacher

Ältere Arbeitnehmende sind vor allem dann benachteiligt, wenn Entlassungen drohen oder sie sich auf eine neue Stelle bewerben. Beim Schutz gegen Diskriminierung von Älteren liege die Schweiz im Vergleich zum Ausland zurück, sagt der Basler Rechtsprofessor Kurt Pärli.

Prof. Dr. Kurt Pärli. (Illustration: Studio Nippoldt)
Prof. Dr. Kurt Pärli. (Illustration: Studio Nippoldt)

Grenzwächter gesucht, Alter zwischen 20 und 35 Jahren» oder «Fahrer/in Car/LKW im Alter zwischen 20 und 50 Jahren»: Solche Inserate erscheinen täglich in schweizerischen Zeitungen und Stellenportalen. Genannt wird ein gewünschtes Lebensalter, was ältere Jobinteressenten direkt diskriminiert. Laut Studien rechnen denn auch drei von vier Arbeitnehmenden bei einem Stellenwechsel mit altersbedingten Nachteilen. Und in Europa befürchten fast zwei Drittel der Bevölkerung, einmal Opfer einer solchen Diskriminierung zu werden.

Ungleichbehandlung als «Standard»

Solche Sorgen sind berechtigt: Bei Kündigungen haben ältere Betroffene trotz Bemühungen meist keine Chance, wieder in der Arbeitswelt Fuss zu fassen. Der Anteil der über 55-Jährigen im Erwerbsleben ist in der Schweiz zwar hoch – wer aber in diesem Alter nach einer Kündigung auf der Strasse steht, den trifft es hart.

Ungleichbehandlung aufgrund des Alters ist hier sozusagen «Standard», sagt Prof. Kurt Pärli, Professor für Soziales Privatrecht an der Universität Basel. Anders im Ausland: In der Europäischen Union sei das Alter als eines von mehreren Diskriminierungsmerkmalen in Richtlinien verankert, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. In der Schweiz gibt es zwar ein verfassungsrechtliches Diskriminierungsverbot, aber ein entsprechendes Umsetzungsgesetz fehlt.

In der Praxis des Bundesgerichts kennt man immerhin eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in besonderen Fällen: wenn die Beschäftigten ein gewisses Alter und eine bestimmte Zahl an Dienstjahren erreicht haben. Dies sei aber eine «eher moralische Kategorie», so Pärli, und passe eigentlich nicht mehr in die Realität des heutigen Arbeitsmarkts.

Auch Jüngere benachteiligt

Auch Jüngere können bei Anstellungen indirekt benachteiligt werden – zum Beispiel, wenn die Arbeitgeber bei Ausschreibungen und Lohneinstufungen besonderen Wert auf die Berufserfahrung oder die geleisteten Dienstjahre legen. Dann sind nämlich Ältere gegenüber den Jüngeren im Vorteil. Zudem können in der Arbeitswelt Menschen nicht nur aufgrund ihres Alters diskriminiert werden, sondern auch im Zusammenhang mit andern Merkmalen wie Geschlecht, Nationalität oder Hautfarbe.

Pärli stellt fest, dass die generelle Bevorzugung von Jüngeren im Arbeitsmarkt stark auf Vorurteilen beruht: «Verallgemeinernde Annahmen, wonach die geistigen und körperlichen Fähigkeiten im Alter abnehmen würden, halten den Erkenntnissen der neueren Altersforschung nicht stand.» Alterungsprozesse verlaufen individuell. Und bei vielen Älteren gebe es vielfach ein ungenutztes Potenzial, die eigenen beruflichen Fähigkeiten zu mobilisieren und weiterzuentwickeln.

Staat und Wirtschaft gleichen sich an

Nun gibt es im Arbeitsmarkt, grob gesagt, zwei Sektoren, so der Rechtsprofessor. Bei öffentlich-rechtlichen Anstellungen ist in der Schweiz der Arbeitgeber, in der Regel der Staat, an die Grundrechte gebunden – darunter vor allem an das in der Bundesverfassung verankerte Diskriminierungsverbot, das auch das Alter erwähnt. In der Praxis können allerdings gesetzliche Altersgrenzen für bestimmte Berufe festgelegt werden, etwa für Grenzbeamte oder Polizistinnen.

Für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse dagegen, wie sie in der Wirtschaft üblich sind, gilt die Vertragsfreiheit. Diese geniesst hierzulande einen ausserordentlich hohen Stellenwert. Obwohl privatrechtliche Arbeitsverträge den Arbeitgebern einige Schranken auferlegen, wirken sich zum Beispiel Entlassungen meist zulasten der Älteren aus. Es kommt aber auch vor, dass Kündigungen nur unter Berufung auf das Alter als missbräuchlich beurteilt werden, wie das Bundesgericht in mehreren Fällen entschieden hat.

Anzumerken sei, sagt der Jurist, dass sich öffentliches Personalrecht und Privatrecht heute vermehrt einander angleichen. So wurde einerseits etwa der Beamtenstatus abgeschafft – und anderseits wurde durch die Gerichte die Fürsorgepflicht für die privaten Arbeitgeber in der Wirtschaft erhöht.

Entlassungen treffen Ältere besonders stark. Für sie hat ein Stellenverlust erhebliche Konsequenzen, indem etwa die Leistungen bei den Sozialversicherungen im Alter geschmälert werden. Dies gilt auch bei Zwangspensionierungen, wenn die Betreffenden gerne noch über das Erreichen des Rentenalters hinaus arbeiten würden. Solche Vertragsauflösungen hält Pärli nach geltendem Recht jedoch für grundsätzlich zulässig.

Gesetz nötig

Altersdiskriminierung sei in der Schweiz mangels eines Gesetzes rechtlich schwierig zu bekämpfen. Es gebe auch kaum Gerichtsfälle wegen altersbedingten Nichtanstellungen. Die Arbeitnehmenden hätten hierzulande keinen wirksamen Rechtsschutz, wenn ihre Bewerbung aus Altersgründen scheitere: «Anders als im Ausland fehlt es hierzulande bei Anstellungen an einem klaren gesetzlichen Diskriminierungsschutz aufgrund des Alters», sagt Pärli.

Welche Lösung schlägt der Arbeitsrechtler also vor? Auf jeden Fall wäre eine gesetzliche Regelung anzustreben. Diese müsste gegenüber dem Alter «neutral» gestaltet sein, wie sich der Jurist ausdrückt. Nach ihm sollte es in Richtung eines stärkeren Kündigungsschutzes und einem Verbot der Diskriminierung bei der Anstellung gehen. Ein künftiges Gesetz könnte generell die Diskriminierung als Verletzung der Persönlichkeit umfassen und sich nicht nur auf das Alter beschränken. Vorstellbar wären weiter die Einführung des Verbandsbeschwerderechts, ebenso wirksame Sanktionen für fehlbare Arbeitgeber je nach deren Grösse – etwa Strafzahlungen in der Höhe eines gewissen Prozentanteils am Jahresumsatz.

Kurt Pärli ist Professor für Soziales Privatrecht an der Universität Basel. Neben dem Diskriminierungsschutzrecht forscht er unter anderem über das Recht der beruflichen Wiedereingliederung, über das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht sowie über Gesundheits- und Datenschutzrecht.

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