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Älter werden (02/2018)

Marihuana und die Glücksforschung.

Text: David Hermann

Konsumenten von medizinischem Cannabis in den USA geht es besser, wenn der Zugang dazu liberal geregelt ist. Diese Erkenntnis der Glücksforschung des Basler Ökonomen Alois Stutzer könnte auch für die Schweiz wichtig werden.

Marihuana-Pflanze
(Bild: Photolona/Shutterstock)

Raucher wissen: In den letzten Jahren wurde der Tabakkonsum immer stärker reguliert. In Büros, Restaurants und vermehrt auch an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen darf nicht mehr geraucht werden. Die Tabakwerbung wurde fast vollständig verboten und die Altersgrenze für den Tabakkauf angehoben. Der Staat versucht so, seine Bürger vor den negativen Folgen des Rauchens zu schützen. Denn oft ist es für diese schwierig, ihre langfristigen Pläne für einen gesunden Lebenswandel umzusetzen. Es kann dann für alle vorteilhaft sein, wenn der Staat regulierend eingreift und zum Beispiel die Prohibition von Tabak verschärft. Gleichzeitig lockern auf der andern Seite immer mehr Behörden die Cannabisgesetze.

Allein in den USA haben fast zwei Drittel der Bundesstaaten den Zugang zu Cannabis erleichtert und Konsumenten für medizinischen Gebrauch sind vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. In neun Bundesstaaten ist der Cannabiskonsum sogar ganz legalisiert. Auch in der Schweiz haben National- und Ständerat diesen Sommer den «Experimentierartikel » verabschiedet. Das überarbeitete Bundesgesetz zur Hanfregulierung soll wissenschaftliche Untersuchungen über die Auswirkungen des medizinisch bedingten Cannabiskonsums ermöglichen.

Wohlbefinden und Wohlfahrt

Wichtigste Kennzahl von Analysen zu diesem Thema ist in der Regel der Konsum. Auch für die WHO ist er der zentrale Indikator für die Folgen der zunehmenden Liberalisierung. Geht der Konsum zurück, war die Änderung top, steigt er, war sie ein Flop. «Mit dieser Antwort waren wir nicht zufrieden», sagt Prof. Dr. Alois Stutzer, Professor für Politische Ökonomie an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel und Leiter des Center for Research in Economics and Well-Being. Ihn interessieren die Auswirkungen veränderter Rahmenbedingungen auf das persönliche Wohlbefinden und damit auch auf die allgemeine Wohlfahrt. «Die Konsumzahlen eignen sich dafür nicht. Denn nur weil der Mensch mehr von etwas konsumiert, geht es ihm nicht besser, und schon gar nicht, wenn er harte Drogen nimmt», erklärt Stutzer. «Eine Politik, die das Rauchen reduziert, ist nicht per se eine erfolgreiche Politik, wenn Leute aus Genuss rauchen.»

Die Glücksforschung – und im Speziellen die Glücksökonomie – liefere auf diese Frage die brauchbaren Antworten, so der Professor. Diese relativ junge Disziplin kombiniert wirtschaftswissenschaftliche Konzepte und Theorien mit Erkenntnissen aus Soziologie, Psychologie und Medizin. Nicht allein das Wachstum von BIP und Produktivität sind für die Glücksökonomie Zeichen von Wohlfahrt, sondern auch eine geäusserte hohe Lebenszufriedenheit und ein hohes persönliches Wohlbefinden.

Liberalisierung wirkt positiv

Stutzer möchte in einem empirischen Forschungsprojekt mit Jörg Kalbfuss und Reto Odermatt herausfinden, wie sich in den USA die Legalisierung von medizinischem Marihuana auf die Netto-Lebenszufriedenheit der Menschen auswirkt. Noch ist nichts veröffentlicht, doch die ersten Ergebnisse seien vielversprechend, sagt der Ökonom. Umfangreiche Berechnungen und Gegentests zeigen: «Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Liberalisierung und mentalem Wohlbefinden.»

Insgesamt 31 US-Bundesstaaten haben in den letzten 15 Jahren die Cannabis-Gesetze gelockert. Das gibt eine nahezu perfekte Übungsanlage für eine empirische Untersuchung: Lockert ein Staat seine Gesetze und ein anderer nicht, bleiben die ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen zwischen den Staaten trotzdem vergleichbar. Kommt es nach der Gesetzesänderung zu Abweichungen, lassen sich diese mit grosser Wahrscheinlichkeit mit der gelockerten Prohibition begründen. In einem zentralistischer organisierten Land als den USA lassen sich dagegen solche Effekte nur schwer isolieren.

Grundlage der Untersuchung sind Daten aus zwei regelmässigen Befragungen der US-Bevölkerung. Die eine liefert Informationen über Verhaltensrisiken zum Beispiel punkto Autofahren, Sport oder Fettleibigkeit. Stutzer und seine Kollegen interessieren sich vor allem für die mentale Gesundheit – etwa dafür, an wie vielen Tagen die Befragten negative Gefühle wie Stress oder Depressionen hatten. Solche Kennzahlen gelten als Indikator für das subjektive Wohlbefinden. Die andere Datenbank ist die nationale Umfrage zu Drogenkonsum und Gesundheit, welche die Informationen über die individuellen Gründe für den Cannabiskonsum liefert.

«Kein Freipass für Legalisierung»

Stutzers Studien zeigen: Menschen, die aus medizinischen Gründen Marihuana konsumieren, geht es besser in Staaten mit lockeren Bestimmungen. Sie können jetzt an bestimmten Verkaufsstellen legal und ohne Stress Cannabisprodukte kaufen oder selber legal einige Pflanzen anbauen. Auch Menschen, die in ihrer Freizeit kiffen, geht es nicht schlechter als vor der Liberalisierung. «Doch diese Ergebnisse sind kein Freipass für die vollständige Legalisierung von Cannabis», relativiert Stutzer. «Das wäre eine Übertragung unserer Resultate, die wir nicht für angemessen erachten.» Schliesslich seien viele in seinen Augen wichtige Fragen in diesem Zusammenhang noch nicht beantwortet – so etwa zum Umgang mit hoch potenten Cannabisprodukten, zur Zulassung von Werbung oder zur Altersbeschränkung für Kinder und Jugendliche.

Bei ihren Untersuchungen stiessen Stutzer und sein Team auf ein interessantes Nebenergebnis. Angesichts der grassierenden Opiatkrise verschärfen die USA derzeit den Zugang zu diesen Medikamenten. Die Patienten und Patientinnen suchen daher nach Ersatz und konsumieren stattdessen vermehrt Alkohol und harte Drogen – mit enormen Folgekosten. Das lässt sich jedoch einfach vermeiden. Wie Stutzer erläutert, sind die Auswirkungen eines verschärften Zugangs zu rezeptpflichtigen Medikamenten weit positiver, wenn gleichzeitig der Zugang zu Cannabisprodukten erleichtert wird.

Auch für die Schweiz, die wie die USA stark föderalistisch organisiert ist, sind Stutzers Untersuchungen relevant. Der Basler Ökonom unterstützt denn auch den «Experimentierartikel», der erste wissenschaftlich begleitete Versuche auch in der Schweiz ermöglichen würde. «Der Föderalismus ist hier sehr hilfreich», meint Stutzer. «Die Schweiz bietet beste Rahmenbedingungen, um in einem Reallabor die Auswirkungen eines liberaleren Umgangs mit Cannabis zu testen.» Doch bis er auch hierzulande ähnliche Untersuchungen wie in den USA anstellen kann, dauert es wohl noch etwas länger.

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