x
Loading
+ -
Schöne Erholung – Neues aus der Schlafforschung (01/2016)

Der 25-Stunden-Mann

Text: Oliver Klaffke

Der individuelle Schlafrhythmus des Menschen wird durch das Tageslicht auf 24 Stunden geeicht. Bei einem Mann, der in Basel untersucht wird, funktioniert das nicht. Wissenschaftler erhalten damit neue Einsichten in die Chronobiologie des Menschen.

Es war eine Sensation, als vor etwa 15 Jahren in der Netzhaut spezielle Rezeptoren entdeckt wurden, deren Aufgabe es ist, die Helligkeit zu messen», sagt der Schlafforscher Christian Cajochen. «Sie leiten die Information darüber, ob es gerade Tag oder Nacht ist, an das Gehirn weiter.» Dass es neben den bekannten Stäbchen und Zapfen, mit denen Farben und Schwarz-Weiss wahrgenommen werden, eine dritte Art Rezeptoren gibt, ist für die Chronobiologie von immenser Bedeutung. Diese Rezeptoren, photosensitive Ganglienzellen, liefern die Erklärung dafür, wie die innere Uhr des Menschen auf den Tagesrhythmus der Umwelt abgestimmt wird.

Wie wichtig das ist, zeigt sich, wenn diese Synchronisation nicht funktioniert – wie etwa bei einem Mann, den Cajochens Mitarbeiter Dr. Corrado Garbazza wissenschaftlich untersucht.

Jeder Mensch hat seinen Schlaf-Wach-Rhythmus, der in etwa im 24-Stunden-Takt läuft. Mit der Umwelt wird er durch den Licht-Dunkel-Wechsel von Tag und Nacht synchronisiert, der durch alle Photorezeptoren und auch die photosensitiven Ganglienzellen im Auge wahrgenommen und zum Gehirn weitergeleitet wird – in eine Region des Hypothalamus, den Nucleus suprachiasmaticus. Dieser hat eine Eigendynamik, er ist sozusagen der Sitz der inneren Uhr mit einer Schrittmacherfunktion, das heisst, er generiert die circadianen Rhythmen. Von dort aus wird der Zeitrhythmus aller Körperzellen synchronisiert. «In jeder Zelle gibt es eine eigene Uhr, die von selbst läuft und wie durch eine Funkuhr von der Zentrale im Gehirn immer wieder auf die richtige Zeit eingestellt werden muss», sagt Cajochen. Die Zentrale, der Nucleus suprachiasmaticus, wird mit Informationen über den tageszeitlichen Hell-Dunkel-Wechsel über die photosensitiven Ganglienzellen versorgt. Bei fast allen Menschen funktioniert das System mit der Feinabstimmung so gut, dass man von dieser Leistung nichts merkt – ausser man reist nach Übersee und hat einen Jetlag oder man arbeitet in einem Schichtbetrieb.

Fehlende Synchronisation

Der Mann, mit dem sich Garbazza beschäftigt, kann seinen Schlaf-Wach-Rhythmus nicht mit der Umwelt synchronisieren. Sein Rhythmus ist mit 25,27 Stunden deutlich länger als der 24StundenTag, und so verschieben sich seine Schlafund Wachphasen im Lauf der Zeit. Den «Nicht-24-Stunden-Mann» nennen ihn die Forscher. Wenn er in eine andere Zeitzone verreist, stellt sich sein Rhythmus nicht auf die neuen Verhältnisse ein, sondern läuft autonom weiter. Und auch zurück in der Schweiz ist sein Schlaf-Wach-Rhythmus unverändert. Jeden Tag wird er etwas später müde und steht etwas später auf, im Durchschnitt etwa 1,27 Stunden pro Tag. Dass er dann natürlich Schwierigkeiten hat, sich in einem normalen Arbeitsprozess zurechtzufinden, bei dem er an jedem Werktag zur gleichen Zeit in der Firma erscheinen soll, ist klar.

Der Fall des Mannes war für die Basler Forscher so ungewöhnlich, dass sie zunächst gar nicht davon ausgingen, dass es an der fehlenden Synchronisation mit der Umwelt liegt, sondern andere Ursachen annahmen. Garbazza zeichnete den Schlaf-Wach-Rhythmus des Mannes kontinuierlich über ein halbes Jahr lang auf, bestimmte monatlich sein Melatoninprofil und analysierte die circadiane Genexpression in seinen Fibroblastenzellen. Dabei wurde klar, dass diese Messgrössen in einem 25,27StundenTakt «frei liefen» und damit nicht auf den 24StundenTag synchronisiert waren.

Eine der Arbeitshypothesen der Wissenschaftler war, dass es sich dabei auch um ein antrainiertes Verhalten handelt, was allerdings entkräftet werden konnte. Für die Forscher ein deutliches Zeichen, dass der nicht synchronisierbare Rhythmus des Mannes eine physiologische Komponente hat. Der Fall des «Nicht-24-Stunden-Manns» zeigt deutlich, dass eine zentrale, interne Synchronisation der Körperzellen zwar stattfindet, aber der Rhythmus stur dem eigenen Takt der inneren Uhr folgt. Dies, weil die äussere Synchronisation mit der Umwelt durch den Licht-Dunkel-Wechsel nicht funktioniert. Das ist sehr selten bei Normalsichtigen, kommt aber bei komplett blinden Personen relativ häufig vor.

 


Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

nach oben