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Mehr! (02/2021)

Eingewandert, weiblich, arm.

Text: Christoph Dieffenbacher

Das Dienstmädchen im weissen Häubchen hat ausgedient. Doch sind noch immer Menschen in fremden Haushalten beschäftigt – meist Frauen mit kleinem Lohn. Wie sich die bezahlte Hausarbeit im 20. Jahrhundert entwickelte, erforscht eine Basler Historikerin.

Hausangestellte glättet Wäsche
Die Arbeit von weiblichen Hausangestellten ist bislang wenig erforscht. Jennifer Burri möchte ihnen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. (Foto: Staatsarchiv Basel-Stadt)

Putzen, waschen, kochen, einheizen, Kisten schleppen, Kinder hüten und Kranke betreuen: Harte und anstrengende Arbeit und lange Tage mit wenig Ruhezeit prägten einst das Leben der Hausangestellten. Von morgens bis abends hatten sie sich zu Diensten zu halten, unter strenger Kontrolle und oft der Willkür der Herrschaft ausgesetzt. Neben den Haushalten des Bürgertums war Hilfspersonal auch in Gewerbehaushalten oder auf Bauernhöfen beschäftigt.

Spätestens um 1900 wurde bezahlte Hausarbeit vor allem zu einer Sache der Frauen. Allein in Basel gab es zeitweise Tausende von Wäscherinnen, Glätterinnen, Köchinnen, Zugeh- und Kinderfrauen, Helferinnen und Pflegerinnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie aber kaum mehr öffentlich sichtbar: Dank neuer Geräte wie Waschmaschine und Staubsauger wurde das Dienstmädchen scheinbar überflüssig. Gleichzeitig arbeiteten immer mehr Frauen ausser Haus.

Von Hausmädchen zu «Care Givers»

Erst seit den 1980er-Jahren nahm die Gesellschaft Migrantinnen als Dienstpersonal wieder deutlicher wahr. Zudem berichteten Medien und sozialwissenschaftliche Arbeiten vermehrt von «Care Givers» aus Osteuropa: Migrantinnen, die alte und kranke Menschen pflegen und bei ihnen oft auch wohnen. Doch der Eindruck, dass die bezahlte Hausarbeit in der Zwischenzeit ganz verschwunden sei, bestätige sich nicht, sagt die Basler Historikerin Jennifer Burri: «Die Jobs in den Haushalten setzten sich nach 1945 ohne Unterbrüche fort, machten aber auch einige Veränderungen durch.»

So habe sich das Berufsbild differenziert und eine Professionalisierung erfahren. Jahrelang wurde versucht, mehr Schweizerinnen für die Haushaltslehre zu begeistern. Ein grosser Teil der Hausarbeiterinnen kam jedoch weiterhin aus dem Ausland, entweder als Aufenthalterinnen mit Jahresbewilligung oder täglich als Grenzgängerinnen. Neu war in den 1960er- und 1970er-Jahren die Beschäftigung von jungen Frauen als «Au-Pairs».

Für ihre Dissertation wertet die Forscherin zurzeit im Staatsarchiv Basel-Stadt 160 Dossiers der damaligen Fremdenpolizei zwischen 1930 und 1980 aus. Damals kam knapp ein Drittel der Haushaltshilfen aus dem Ausland, die ersten aus dem benachbarten Südbaden und dem Elsass. Nach 1945 nahm die Migration von Frauen aus Italien und Spanien, später aus Ex-Jugoslawien und der Türkei zu. Ihre Arbeitsbewilligungen gingen jeweils über die Bürotische der kantonalen Fremdenpolizei, die auch vermerkte, wenn es etwa in Sachen Löhne und Arbeitsbedingungen Probleme gab.

Am Freitag war Waschtag

Diese Akten liefern denn auch wertvolles Material für die Historikerin, die hier konkrete Einblicke in den Arbeitsalltag des Dienstpersonals findet. Sie sei bei ihren Recherchen auf äusserst vielfältige Formen von Hausarbeit gestossen – von der Festangestellten bis zur Zugehfrau, die nur gelegentlich aushalf. Arbeitgeber waren dabei nicht nur Familien aus dem vermögenden Bürgertum, sondern immer mehr auch aus mittelständischen Handwerks- und Kleinbetrieben. Ein Detail am Rande: «Fast überall war der Freitag der Tag, an dem eine Frau von auswärts in die Häuser kam und die Wäsche machte.»

Zu den Hilfen in den Haushalten gehörten auch Au-Pairs aus dem In- und Ausland sowie «Praktikantinnen» in einem Haushaltslehrjahr. Zu tun hatten zwar alle genug, aber es gab auch Alternativen: Oft wechselten die Hausangestellten von den Privathaushalten in Spitaler und Pflegeeinrichtungen, Hotels und Grossküchen, die bessere Löhne und regelmässigere Arbeitszeiten versprachen. Nach wie vor blieb ihre Arbeit weitgehend unsichtbar.

Detektivarbeit im Archiv

Da die fremdenpolizeilichen Dossiers nicht nach Inhalt oder nach Namen, sondern jeweils nach Datum abgelegt sind, gestaltet sich Burris Arbeit ziemlich aufwendig, wie sie erzählt: «Ich muss im Archiv eine Kartonschachtel nach der anderen öffnen, bis ich auf Informationen über Hauspersonal stosse.» Dann stellt sie die Personendaten und Lebensläufe zusammen. Forschungsfragen ergeben sich: Woher kamen die Hausangestellten, wo arbeiteten sie, wie viel verdienten sie und wie lange blieben sie an ihren Stellen?

Seit dem Ersten Weltkrieg bestand in ganz Europa dauernd ein hoher Bedarf an Hauspersonal. Schon früh war auch von einer «Überfremdung des Hausdienstes» die Rede. Einer von Burris Befunden ist die sehr hohe Fluktuation: Im Durchschnitt waren die Hausangestellten in Basel nur anderthalb Jahre an derselben Stelle beschäftigt. «Der ‹Hausdienst› galt mit der Zeit nicht mehr als modern», so die Historikerin.

Zeitgenössische Quellen führen die häufigen Wechsel auch auf die allzu grosse, oft unangenehme Nähe zur Herrschaft und auf die mangelnde Privatsphäre zurück. Ein Stellenwechsel bot sich für die Hausangestellten manchmal als die einzige Möglichkeit an, sich zu wehren und die eigene Situation zu verbessern.

Versteckte Arbeitsbiografien

Mit ihrer Forschung möchte Burri der noch wenig bekannten Welt der weiblichen Hausangestellten zu mehr Sichtbarkeit verhelfen, ihre versteckten Arbeitsbiografien ausleuchten. «Heute können zwar viele von uns noch Geschichten und Anekdoten aus ihrer eigenen Familie erzählen», sagt Burri, «etwa von einer Grossmutter oder einer Grosstante, die in jungen Jahren als Köchin oder Kindermädchen nach Basel kam.» Aber es ist eine wenig untersuchte Berufsgruppe: Die bisherige Migrationsforschung etwa habe sich vor allem auf die männlichen Gastarbeiter konzentriert.

Wie sieht die heutige Lage des Hauspersonals aus? Noch immer lasse sich ihre Arbeit mit den Eigenschaften «prekär, mobil und weiblich» umschreiben, sagt Burri, die auch Gender Studies studierte und über die Geschichte der Prostitution in Basel geforscht hat. Care-Arbeiterinnen in Privathaushalten gehörten heute noch immer zu den Arbeitskräften mit den kleinsten Löhnen. Ihre rechtliche Absicherung sei zwar besser, aber immer noch nicht so gut wie jene anderer Angestellter. Denn im Gegensatz zu anderen Ländern wird in der Schweiz ein Haushalt rechtlich nicht als Arbeitsplatz anerkannt.

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