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Ungewöhnliche Beute: Spinnen fressen Schlangen

Scharlachnatter, gefangen und getötet in einem Netz einer Schwarzen Witwe in der Ecke der Veranda eines Hauses in Gulf Breeze, Florida, USA.
Scharlachnatter, gefangen und getötet in einem Netz einer Schwarzen Witwe in der Ecke der Veranda eines Hauses in Gulf Breeze, Florida, USA. (Foto: Trisha Haas)

Es gibt Spinnen, die Schlangen fressen. Das zeigen Beobachtungen in verschiedenen Teilen der Welt. Zwei Forscher aus Basel und den USA haben über 300 Berichte über dieses spezielle Beuteschema zusammengetragen und analysiert.

28. Juni 2021

Scharlachnatter, gefangen und getötet in einem Netz einer Schwarzen Witwe in der Ecke der Veranda eines Hauses in Gulf Breeze, Florida, USA.
Scharlachnatter, gefangen und getötet in einem Netz einer Schwarzen Witwe in der Ecke der Veranda eines Hauses in Gulf Breeze, Florida, USA. (Foto: Trisha Haas)

Spinnen sind zur Hauptsache Insektenfresser, sie erweitern ihren Speiseplan aber, indem sie gelegentlich kleine Schlangen fangen und fressen. PD Dr. Martin Nyffeler, Spinnenforscher an der Universiät Basel, und der amerikanische Schlangenforscher Prof. Dr. Whitfield Gibbons von der University of Georgia, USA, sind diesem Phänomen im Rahmen einer sogenannten Meta-Analyse auf den Grund gegangen. Ihre Erkenntnisse aus der Untersuchung von 319 Vorfällen dieses aussergewöhnlichen Fressverhaltens sind jüngst im «Journal of Arachnology» erschienen.

Demnach kommt es auf sämtlichen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis vor, dass Spinnen auch Schlangen fressen. 80 Prozent der untersuchten Vorfälle sind in den USA und in Australien beobachtet worden. In Europa liess sich dieses Fressverhalten von Spinnen hingegen bisher nur ganz selten feststellen – das heisst in weniger als 1 Prozent der berichteten Vorfälle – und beschränkt sich auf den Verzehr von winzigen, ungiftigen Schlangen der Familie Blindschlangen (Typhlopidae) durch kleine Netzspinnen.

Schwarze Witwen sind besonders erfolgreich

In der Schweiz wurde noch nie eine Spinne beobachtet, die eine Schlange frass. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die einheimischen Nattern und Vipern auch als frisch geschlüpfte Jungtiere zu gross und zu schwer sind, als dass schweizerische Spinnen sie überwältigen könnten.

Die Datenanalyse zeigte weiter, dass Spinnen aus elf verschiedenen Familien in der Lage sind, Schlangen zu erbeuten und zu fressen. «Dass so viele verschiedene Spinnengruppen gelegentlich Schlangen fressen, ist eine völlig neue Erkenntnis», betont Nyffeler.

In etwa der Hälfte aller beobachteten Vorfälle waren Schwarze Witwen aus der Familie Kugelspinnen (Theridiidae) die erfolgreichen Jägerinnen. Ihr potentes Gift enthält ein Toxin, welches spezifisch auf das Nervensystem von Wirbeltieren einwirkt. Zudem bauen diese Spinnen Netze aus extrem reissfester Spinnseide, mit welchen sie auch grössere Beutetiere wie Eidechsen, Frösche, Mäuse, Vögel und eben Schlangen fangen können.

Fette Beute

Eine weitere neue Erkenntnis aus der Meta-Analyse: Spinnen können Schlangen aus sieben verschiedenen Familien überwältigen. Sie sind in der Lage, Schlangen zu bezwingen, die 10- bis 30-mal grösser sind als sie selber.

Die grössten von Spinnen erbeuteten Schlangen sind bis zu einem Meter lang, die kleinsten nur etwa 6 Zentimeter. Die mittlere Länge der erbeuteten Schlangen betrug gemäss den statistischen Auswertungen der beiden Forscher 26 Zentimeter. Die meisten erbeuteten Schlangen waren sehr junge, frisch geschlüpfte Tiere.

Mögliche Erkenntnisse über die Wirkung von Spinnengift

Eine Vielzahl von Spinnenarten, welche gelegentlich Schlangen töten und fressen, verfügen über Gifte, die auch für den Menschen tödlich sein können. Die Gifte verschiedener Spinnenarten wirken also in ähnlicher Weise auf das Nervensystem von Schlange und Mensch. Deshalb können Beobachtungen über wirbeltierfressende Spinnen auch für die Neurobiologie bedeutungsvoll sein, da sie Rückschlüsse auf den Wirkungsmechanismus von Spinnenneurotoxinen auf Nervensysteme anderer Wirbeltierarten gestatten.

«Während die Wirkungsweise des Gifts von Schwarzen Witwen auf das Nervensystem von Schlangen bereits gut erforscht ist, fehlt solches Wissen noch weitgehend für andere Spinnengruppen. Es besteht also noch grosser Forschungsbedarf, um herauszufinden, welche spezifisch auf das Nervensystem von Wirbeltieren wirkenden Giftkomponenten dafür verantwortlich sind, dass Spinnen wesentlich grössere Schlangen durch einen Giftbiss lähmen und töten können», sagt Martin Nyffeler.

Auch Giftschlangen sind Opfer

Die erbeuteten Schlangen sind allerdings selbst alles andere als wehrlos: Etwa 30 Prozent gehören zur Gruppe der Giftschlangen. In den USA und Südamerika werden gelegentlich hochgiftige Klapper- und Korallenschlangen von Spinnen getötet. In Australien fallen oft Scheinkobras (brown snakes), welche zur selben Familie wie die Kobras gehören, Rotrückenspinnen (Australische Schwarze Witwen) zum Opfer. Martin Nyffeler sagt: «Diese Scheinkobras gehören zu den giftigsten Schlangen der Welt, und es ist sehr faszinierend zu beobachten, dass sie im Kampf mit Spinnen jeweils unterliegen.»

Essen auf Vorrat

Wenn eine Spinne eine Schlange erbeutet hat, frisst sie oft stunden- bis tagelang an einem solch «fetten Happen». Spinnen sind Tiere mit einem unregelmässigen Fressrhythmus: Bei hohem Nahrungsangebot fressen sie im Übermass, um dann wieder lange Zeit zu hungern. Überschussnahrung speichern sie als Energiereserve und nutzen sie zur Überbrückung längerer Hungerperioden.

Dennoch frisst eine Spinne oft nur einen kleinen Teil einer toten Schlange. Was übrig bleibt, wird später von Aasfressern wie Ameisen, Wespen, Fliegen und Schimmelpilzen konsumiert.

Originalpublikation

Martin Nyffeler and J. Whitfield Gibbons (2021).
Spiders (Arachnida: Araneae) feeding on snakes (Reptilia: Squamata).
Journal of Arachnology 49, (1-27), doi: 10.1636/JoA-S-20-050

Bilder

Bildmaterial in hoher Auflösung findet sich in der Mediendatenbank.

Weitere Auskünfte

PD Dr. Martin Nyffeler, Universität Basel, Departement Umweltwissenschaften, Naturschutzbiologie, Tel. +41 61 702 07 03, E-Mail: martin.nyffeler@unibas.ch

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