Panettone: Handwerk und ein bisschen Wissenschaft
In der Vorweihnachtszeit ist er allgegenwärtig: In Lebensmittelläden und Feinkostgeschäften stapeln sich Schachteln mit Panettone. Von Massenware bis zu echter Handwerkskunst ist alles zu haben. Ein wirklich guter Panettone ist handwerklich aufwändig, aber auch wissenschaftlich ganz schön interessant.
22. Dezember 2025 | Michael Podvinec
Was nur wenige wissen: Panettone ist ein Sauerteiggebäck, hat also in seinem Wesen mehr mit einem Brot gemein als mit einem Kuchen. Und ein guter Panettone braucht Zeit, viel Zeit sogar. Vom Auffrischen des Sauerteigs bis zum fertigen Panettone vergehen gut und gerne drei Tage.
Ein kleiner Abstecher in die Mikrobiologie: Sauerteig ist eine Mischkultur aus verschiedenen Hefen (z.B. Maudiozyma humilis) und Milchsäurebakterien (z.B. Fructilactobacillus sanfranciscensis). Die Basis für den Panettone, das sogenannte Anstellgut, könnte genauso gut die Grundlage für ein grossartiges Sauerteigbrot sein.
Damit daraus aber die fluffige Weihnachtsspezialität wird, muss das Anstellgut vorbereitet werden: Durch das richtige Verhältnis von Mehl und Wasser und einige eng gestaffelte Vermehrungsphasen wird es über mehrere Tage regelrecht für Höchstleistungen trainiert, bevor es losgeht. Schön mild und triebstark sollte es sein.
Weizenkleber für Fluffigkeit
Damit der Panettone am Ende wirklich watteweich wird, braucht es vor allem eins: Gluten. Durch Zugabe von besonders proteinhaltigem Spezialmehl aus Manitoba-Eliteweizen und sehr langes Kneten entwickelt der Teig ein starkes Gerüst: Die Eiweisse Gliadin und Glutenin aus dem Weizenmehl verbinden sich beim Kneten zu einem elastischen Glutennetzwerk. Das braucht es, damit der Teig das von den Hefen ausgestossene CO2 in Bläschen hält und gut aufgeht.
Wichtig zu wissen: Fett behindert das Entstehen des Glutengerüsts, deshalb kommen erst im nächsten Schritt Eigelb, Zucker und mit Vanille und Zitrusabrieb aromatisierte Butter dazu.
So entsteht der Vorteig (Primo Impasto), der sich über Nacht verdreifachen muss. Sein relativ hoher Zuckergehalt von rund 14 Prozent hemmt die Säurebildung durch die Milchsäurebakterien, gleichzeitig produziert die Mikrobengemeinschaft des Sauerteigs während dieser Nachtruhe lange Zuckerketten, sogenannte Polysaccharide. Diese binden Wasser im Gebäck und halten es so länger frisch.
Am nächsten Tag gibt man noch mehr Mehl, mehr Butter, mehr Eigelb und getrocknete Früchte dazu. Der fertige Teig kommt zuletzt in die typischen Papierformen und muss ein weiteres Mal aufgehen.
Chemie im Backofen
Beim Backen laufen an der Oberfläche des Panettone chemischen Reaktionen zwischen Zuckern und Eiweissen ab – oder genauer gesagt deren Bausteinen, den Aminosäuren. Diese sogenannten Maillard-Reaktionen erzeugen die schöne Bräune, Röstaromen und weitere komplexe Geschmacksstoffe.
Zum Abschluss noch etwas Physik: Wenn das gute Stück aus dem Ofen kommt, ist das Teiggerüst noch nicht ausgehärtet. Beim Auskühlen würde es in sich selbst zusammenfallen. Adieu Fluffigkeit! Darum werden Panettone über Kopf abgekühlt, damit die Gravitationskraft in unserem Sinne wirkt.
Vom Heimprojekt zur Profi-Backstube
Dieser aufwändige Prozess mit einer gehörigen Portion Wissenschaft hat es mir als bekennendem Food-Nerd seit einigen Jahren angetan. Richtig los ging es an Pandemie-Weihnachten 2020, als ich Freunde und Verwandte postalisch mit Panettone bedachte. Es waren mehr als 30 Panettone, an denen ich mir in jenem Jahr in der Küche zu Hause die Zähne ausgebissen und Stück für Stück die Technik verfeinert hatte.
Dieses Jahr habe ich nochmals ein Scheit draufgelegt und mich mit einem befreundeten Bäcker-Confiseur in Backstuben-Klausur begeben, um dem selbstgebackenen Panettone den letzten Schliff zu geben. Die Herstellung mit Profi-Geräten macht den Prozess an einigen Stellen einfacher umsetzbar. Aufwändig und langwierig bleibt er dennoch. Für einen guten Panettone aus allerbesten Zutaten lohnt sich das auf alle Fälle.
Dr. Michael Podvinec ist Molekularbiologe und leitet am Biozentrum die Core Facility Research IT. Ihn faszinieren daneben seit über einem Jahrzehnt die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge der Kulinarik. Auf dem Instagram-Kanal @panettone_project teilt er Fotos und Videos über sein jüngstes Backprojekt. Sein Buchtipp zum Thema Panettone: Thomas Teffri-Chambelland (2020) - "Sourdough Panettone and Viennoiserie, Bread Editions".


