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Neues Antibiotikum: Täuschungsmanöver im Kleinstformat

Zwei angeschriebene Petrischalen.
Zwei Petrischalen mit Bakterienkulturen. Darobactin hat alle Bakterien der rechten Schale vernichtet, in der Kontrolle links sind sie noch deutlich sichtbar als helle Kolonien. (Bild: NFP 72, Nadine Kägi)

Antibiotika entfalten ihre Wirkung üblicherweise, indem sie in Bakterien eindringen. Das neu entdeckte Darobactin ist dafür jedoch viel zu gross. Trotzdem tötet es viele antibiotikaresistente Keime ab. Forschende am Biozentrum der Universität Basel haben nun den erstaunlichen Mechanismus dahinter enträtselt und so den Weg für die Entwicklung gänzlich neuartiger Medikamente geebnet.

15. April 2021

Zwei angeschriebene Petrischalen.
Zwei Petrischalen mit Bakterienkulturen. Darobactin hat alle Bakterien der rechten Schale vernichtet, in der Kontrolle links sind sie noch deutlich sichtbar als helle Kolonien. (Bild: NFP 72, Nadine Kägi)

Immer mehr bakterielle Krankheitserreger sind gegen Antibiotika resistent. Dabei haben die gefährlichsten Keime eines gemeinsam: Sie verfügen über eine doppelte Membran, die schwer zu durchdringen ist. Und selbst wenn antibiotische Wirkstoffe diese Hülle knacken, werden sie von den Bakterien meist gleich wieder hinausgepumpt. Doch dem kürzlich entdeckten Darobactin gelingt es, diese Schutzvorkehrungen zu umgehen und fast alle Problemkeime zu töten. Den Wirkmechanismus dahinter konnten Forschende nun in einem vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Projekt des Nationalen Forschungsprogramms «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) aufklären.

Wie ein abgebrochener Schlüssel

In einer jetzt in «Nature» veröffentlichten Studie beschreiben sie, wie ein Täuschungsmanöver den Erfolg von Darobactin ermöglicht: Es imitiert mit seiner Form eine besondere dreidimensionale Struktur, die sonst nur diejenigen Proteine besitzen, welche von Bakterien als Bausteine für ihre äussere Membran selbst produziert werden. Die besagte Struktur ist der Schlüssel, um die Proteine an bestimmten Orten von innen her in die äussere Hülle einzupassen. Darobactin ist eine Kopie dieses Schlüssels. Doch es nutzt dies nicht, um in die Bakterien einzudringen, sondern blockiert lediglich das Schlüsselloch von aussen. So, als würde man eine Tür abschliessen und dann den Schlüssel abbrechen. Die Folge: Den Bakterien ist der Transportweg für ihre Hüllenbausteine versperrt und sie sterben.

Mit üblichen Methoden kaum erkennbar

Verwandte Mechanismen sind in der Mikrobiologie bereits bekannt und werden durch andere Medikamente verwendet. Die dabei anvisierten Bindestrukturen, oder eben Schlüssellöcher, sind in der Regel recht gross – zumindest für mikrobiologische Verhältnisse. Im Gegensatz dazu ist das von Darobactin genutzte Ziel sehr klein und mit üblichen Methoden gar nicht erkennbar. Dies, obwohl Darobactin grösser ist als die meisten Wirkstoffe und nicht einmal durch die Eintrittspforten der Bakterien passen würde.

Sebastian Hiller betrachtet eine Petri-Schale.
Sebastian Hiller, Professor am Biozentrum der Universität Basel, klärte mit seinem Team den erstaunlichen Wirkmechanismus des Antibiotikums Darobactin auf. (Bild: NFP 72, Nadine Kägi)

«Das hat uns am Anfang vor Rätsel gestellt», sagen Sebastian Hiller und Timm Maier vom Biozentrum der Universität Basel, die zwei Hauptautoren der nun vorgelegten Studie. Zwar hätten sie und ihre Teams sofort erkannt, dass Darobactin nicht im Inneren der Erreger wirkt, sondern auf deren Oberfläche. Dort nämlich stört es die Funktion des Proteins BamA, das beim Aufbau der doppelten Schutzmembran eine zentrale Rolle einnimmt. «Doch wie genau Darobactin mit BamA interagiert, war völlig unklar», so Hiller. Erst durch die Kombination von mehreren Methoden kamen die Forschenden dem Vorgang schliesslich auf die Spur.

Perfekte Schwachstelle erwischt

Dabei erkannten sie, dass Darobactin eine wahre Achillesferse der Erreger angreift: Es bindet direkt an die wichtigsten, sogenannten «Rückgrat»-Atome von BamA. Weil diese Atome das Protein zusammenhalten und seine Form vorgeben, können sie kaum verändert werden – doch genau dies wäre für Bakterien der einfachste Weg, um auch Darobactin in absehbarer Zeit abzuwehren. Tatsächlich behielt Darobactin jedoch seine Wirksamkeit gegen alle Erreger, für die Hiller und sein Team Labortests durchführten, mit denen man Resistenzen künstlich erzeugen kann. Wiederum im übertragenen Sinn gesagt: Es gelang den Erregern nicht, das «geknackte» Schloss auszuwechseln.

Gezielte Entwicklung von Medikamenten

Für eine mögliche Anwendung in der Medizin seien diese Erkenntnisse ein entscheidender Schritt, sagt Infektionsbiologe Dirk Bumann, der ebenfalls an der Universität Basel forscht. Als Co-Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts AntiResist verfolgt er das aktuelle Geschehen in der Antibiotikaforschung eng. «Die Aufschlüsselung des Wirkmechanismus von Darobactin ist ein grosser Erfolg», sagt er, «denn das ermöglicht es, Darobactin gezielt zu verbessern und zu einem wirksamen Medikament zu entwickeln». Die langehegte Hoffnung auf eine neue Generation Antibiotika, die gegen viele der heutigen Problemkeime eingesetzt werden kann, erhält damit starken Auftrieb.

Originalpublikation

Hundeep Kaur, Roman P. Jakob et al.
The antibiotic darobactin mimics a β-strand to inhibit outer membrane insertase
Nature (2021), doi: 10.1038/s41586-021-03455-w


Weitere Auskünfte

Prof. Dr. Sebastian Hiller, Universität Basel, Biozentrum, Tel. +41 61 207 21 01, E-Mail: sebastian.hiller@unibas.ch

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