Eine Physikerin etabliert neue Methoden in der Rechtsmedizin
Claudia Lenz hat eine Methode entwickelt, mit der sich Strangulationsverletzungen länger nachweisen lassen. Dadurch verbessert sich die Beweislage bei Gewaltverbrechen. Für diese und weitere Arbeiten im Rahmen ihrer Habilitation wurde die Physikerin am diesjährigen Dies academicus mit dem Emilie-Louise-Frey-Preis ausgezeichnet.
02. Dezember 2025 | Catherine Weyer
Nur wenige Tage: So lange sind Strangulationsmerkmale von aussen in der Regel sichtbar. Danach verblassen die sichtbaren Spuren wie Würgemale und damit auch die Beweise für das Gewaltverbrechen. Bis zu wenigen Tagen nach der Tat werden deshalb auch Opfer von Gewalt auf Strangulationsmerkmale untersucht. So sieht es die gängige Praxis der forensischen Medizin derzeit vor. Aber das wird sich ändern.
Dank PD Dr. Claudia Lenz: Die Forschungsgruppenleiterin am Institut für Rechtsmedizin der Universität Basel hat mit ihrer Studie neue Standards gesetzt: Sie konnte zeigen, dass innere Verletzungen mit einer Magnetresonanztomographie (MRI) weit länger nachweisbar sind, als bisher vermutet – nämlich bis zu 12 Tage lang. Eine deutliche Verlängerung des Zeitfensters, in dem objektive Hinweise auf ein Gewaltverbrechen gesichert werden können.
Spagat zwischen Physik und Medizin
Für ihre Studie untersuchte Lenz 20 Überlebende von Strangulationen mithilfe spezieller MRI-Sequenzen. So konnte sie Blutungen und Schwellungen in Muskeln, Schilddrüse und Lymphknoten dokumentieren, die andernfalls verborgen geblieben wären. Für diese sowie weitere Forschungsarbeiten im Rahmen ihrer Habilitation wurde sie am Dies academicus mit dem Emilie-Louise-Frey Preis ausgezeichnet.
«Die Arbeit von Claudia Lenz zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Spagat zwischen den technischen Wissenschaften und der medizinischen Anwendung schafft», sagt Prof. Dr. Eva Scheurer. Sie ist die Dekanin an der Medizinischen Fakultät, die den Emilie-Louise-Frey-Preis in diesem Jahr vergeben durfte. Mit viel Beziehungsarbeit und kontinuierlichem Effort habe Lenz es geschafft, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachbereichen aufzubauen und voranzutreiben.
Letztes Puzzlestück für Einsatz
«Ich hätte nicht gedacht, dass meine Habilitation so herausstechen würde», sagt Claudia Lenz. Die promovierte Physikerin freut sich umso mehr um die Wertschätzung, die ihre Arbeit mit dem Preis erhält. Die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung ist für sie aber noch wichtiger: Moderne Bildgebung, wie MRI und auch Computertomografie, kann die forensische Dienstleistung wesentlich unterstützen und so einen wichtigen Beitrag zur Rechtssicherheit leisten.
«Diese Arbeit war das letzte Puzzlestück, um unsere Forschung in der forensischen Untersuchung von Gewaltopfern zu verankern», erklärt sie. Das heisst konkret: Wenn das Institut für Rechtsmedizin im Jahr 2027 an seinen neuen Standort an der Socinstrasse zieht, werden nach vermuteter Gewalt gegen den Hals standardmässig MRI-Untersuchungen durchgeführt.
Naturwissenschaften für Frauen in den Blick rücken
Der Emilie-Louise-Frey Preis wird für die herausragende Forschung junger Wissenschaftlerinnen vergeben und soll diese in ihrer akademischen Laufbahn bestärken. Lenz’ Karriere fand an der Universität Basel statt. «Hier bekam ich immer wieder die Chance, an interessanten Orten zu arbeiten.» Die Solothurnerin studierte Physik in Basel, promovierte anschliessend in Biophysik am Universitätsspital Basel und kam 2017 ans Institut für Rechtsmedizin.
Claudia Lenz freut sich auch deshalb über den Preis, weil er ihrer Forschung Sichtbarkeit verleiht. «Es ist mir wichtig, Mädchen und jungen Frauen zu zeigen, dass sie auch in den Naturwissenschaften brillieren können.» Sie selbst bezeichnet sich in erster Linie als neugierig: «Ich wollte die Zusammenhänge verstehen und fand die konkreten Anwendungen in der Medizin besonders spannend. Die moderne Medizin ist schliesslich nicht ohne den technischen Fortschritt denkbar.»
Nächstes Projekt: Hämatome auf dunkler Haut sichtbar machen
Claudia Lenz sagt, ihre Forschung sei etwas nischenhaft, dafür habe sie einen grossen Vorteil: «Sie wird direkt in der Gesellschaft angewandt.» Denn auch wenn viele Leute bei Rechtsmedizin in erster Linie an Verstorbene denken, seien über die Hälfte der Personen, die in der Rechtsmedizin untersucht werden, noch am Leben.
Einen direkten gesellschaftlichen Nutzen hat auch ihr aktuelles Forschungsprojekt, das bereits heute in der forensischen Medizin zum Einsatz kommt: Infrarot-Fotografie. «Gerade auf dunkler Haut sind Hämatome von blossem Auge schwer zu erkennen», erklärt Lenz. Unter dem Infrarot-Licht werden die blauen Flecken aber sichtbar und damit auch beweisbar. Ein weiteres Puzzlestück, um die Rechtssicherheit zu stärken.