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Wie wir entscheiden. (01/2020)

Soll die Komplementärmedizin wie andere Disziplinen wissenschaftlich erforscht werden, Herr Meier?

Text: Christoph R. Meier

Wie soll sich die universitäre Forschung zur Komplementärmedizin stellen? Debatte zwischen einem Pharmazeuten und einem Physiker.

Illustriertes Portrait von Prof. Dr. Christoph R. Meier. (Illustration: Studio Nippoldt)
Prof. Dr. Christoph R. Meier. (Illustration: Studio Nippoldt)

Die Komplementärmedizin wurde vor zehn Jahren vom Schweizer Volk in einer Abstimmung mit deutlichem Ergebnis als förderungswürdiger Teil der Grundversorgung in der Bundesverfassung verankert. Mit diesem Entscheid wurde es Gesetz, dass Komplementärmedizin zur universitären Grundausbildung in Pharmazie und Medizin gehört und teilweise von der Grundversicherung bezahlt wird. Schweizweit erkundigen sich in Apotheken und Arztpraxen täglich Tausende nach komplementärmedizinischen Therapien, und viele wenden solche Mittel an. Damit ist die Frage, ob man die Komplementärmedizin negieren oder seriös erforschen und universitär evidenzbasiert lehren sollte, eigentlich schon beantwortet.

Wenige wissen, was sich hinter dem Begriff «Komplementärmedizin» verbirgt. Für viele ist er gleichgesetzt mit Homöopathie, einem Reizwort für Naturwissenschaftler. Dies greift aber zu kurz, denn das Spektrum der Komplementärmedizin umfasst neben der Homöopathie auch die Phytopharmazie, anthroposophisch orientierte Medizin und chinesische Medizin (inkl. Akupunktur).

Wenn wir von der umstrittenen Homöopathie mal absehen, gibt es wohl wenige, die behaupten, dass etwa Phytopharmazie nicht erforscht werden soll, kommen doch viele hochpotente und wichtige Arzneimittel aus der Natur. Denken wir nur an das bahnbrechende Antibiotikum Penicillin, an das Immunsuppressivum Ciclosporin oder an die millionenfach eingesetzte Acetylsalicylsäure. Hätte in den frühen Tagen der Phytopharmazie-Forschung die wissenschaftliche Gemeinde die Erforschung von pflanzlichen Naturstoffen zu bannen versucht, wäre der moderne Arzneimittelschatz um ein Vielfaches ärmer und die heutige Lebenserwartung um einiges kürzer.

Woher kommt dann die Abneigung gewisser Kreise gegenüber der Komplementärmedizin? Das Schlüsselwort, wie erwähnt, heisst Homöopathie. Ihre Vertreter behaupten, dass auch nach sehr starker Verdünnung eine Lösung, in der faktisch kein Inhaltsstoff mehr nachweisbar ist, eine therapeutische Wirkung erzielen kann, weil die Trägerlösung noch Energie des Wirkstoffs in sich trägt. Dies widerspricht den heute anerkannten naturwissenschaftlichen Grundlagen der Physik und der Chemie.

Auch ich habe grösste Mühe mit dieser Behauptung und bin der Homöopathie gegenüber, bis zum handfesten Beweis des Gegenteils, äusserst skeptisch eingestellt. Eine nicht plausible oder rationale zugrundeliegende Hypothese heisst aber keineswegs, dass man Forschung dazu verbieten sollte. Wir wenden viele schulmedizinische Arzneimittel an, von denen wir weder den zellulären Wirkmechanismus kennen noch gute klinische Studien haben, phänomenologisch aber überzeugt sind, dass sie wirken. Alle sind wohl einverstanden, dass man solche Wirkstoffe weiter erforschen sollte, um sie besser zu verstehen.

Christoph R. Meier arbeitet als Professor für Klinische Pharmazie und Pharmakoepidemiologie am Departement für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Basel und ist dort seit 2012 auch als Departementsvorsteher tätig.

Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

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