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Leben in Stadt und Land (01/2018)

Stadtquartiere: Räume in Bewegung

Text: Christoph Dieffenbacher

Städtische Strukturen setzen sich aus verschiedenen Quartieren zusammen. Eine Humangeografin ist den Eigenheiten von Basels Stadtteilen nachgegangen.

Quartiere – es gibt grosse und kleine davon, manche sind um ein Zentrum angeordnet, manche nicht, sie haben unterschiedliche Entstehungsgeschichten, und in ihrer Mischung machen sie zusammen eine Stadt aus. Wer lebt in welchen Stadtvierteln? Wie nehmen die Menschen diese in ihrer Verschiedenheit wahr? Welches Bild haben die Bewohner von ihrem Lebensraum vor ihrer Haustür? Und wie kann die Stadt ihre Quartiere als Sozial- und Identitätsräume optimal sichtbar machen? Solchen Fragen hat sich die Geografin Esther Schlumpf am Beispiel der Stadt Basel gestellt.

Für die gebürtige Aargauerin, die während des Studiums zuerst im Gross- und später im Kleinbasel wohnte, war die Stadt zunächst ein fremder Forschungsplatz: Die 19 Quartiere waren ihr zuvor nicht vertraut. Für ihre Dissertation befragte sie dann über 2000 Bewohner aus sieben ausgewählten Vierteln mittels Fragebogen: «Mir fiel als Erstes auf, dass die Bevölkerung die verschiedenen Stadtviertel ausgesprochen unterschiedlich beurteilt: die einen als ruhig und wohlhabend, die andern eher als schmutzig, kreativ und lebendig», sagt sie. Zudem führte sie zahlreiche Gespräche und Interviews mit Fachleuten aus Politik, Verwaltung, Stadtplanung und Architektur.

Nur schon die Bezeichnungen der Quartiere spielen keine unwichtige Rolle: Die Geografin stellte zum Beispiel fest, dass vor Jahrzehnten abgeschaffte und veraltete Namen in den Köpfen der Bewohner immer noch präsent sind, etwa das Hegenheimerquartier, das offiziell zum Iselinquartier gehört. Und umgekehrt gibt es heute Bezeichnungen wie «Am Ring» im Grossbasel, die aber nur in der Verwaltung oder in der Statistik kursieren – kein einziger Bewohner würde sein Wohnquartier so nennen.

Stadtquartiere leben: Viele machen alle paar Jahre Veränderungen durch, andere behalten ihren Charakter lange Zeit bei. Im Ganzen ist das Bild – oder das «Image» – eines Quartiers eng an den durchschnittlichen sozialen Status der Bewohner gekoppelt, lautet ein Fazit der Studie. «Diese Vorstellungen haben sich als äusserst hartnäckig und teilweise auch als undifferenziert herausgestellt», sagt die Autorin. Oft sehe die sozialräumliche Realität anders aus als das, was im Bewusstsein der Menschen existiert.

Erstaunlich sei, so die Forscherin, dass Basel mit seiner besonderen geografischen Lage weiterhin das Potenzial hat, neue Viertel zu schaffen: mit dem Hafenareal, dem Klybeck und der Erlenmatt-Überbauung. Hier sei im Rosental ein eigentliches «Quartier im Quartier» mit Bewohnern unterschiedlicher Herkunft entstanden. Als positiv für die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl beurteilt Schlumpf auch die institutionalisierte Mitwirkung der Quartierbevölkerung, die bei den Planungen zum Teil eingeladen wird. «Es lässt sich nachweisen», sagt sie, «dass Menschen, die sich in einem bestimmten Raum häufig bewegen und sich dort auch austauschen, ein realitätsnäheres Bild davon haben und sich aktiver für diesen Raum einsetzen».

Gibt es Empfehlungen der Forscherin an die Politik? Unterstützt werden sollten all jene Bestrebungen, die den Charakter, die Identifikation und das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Quartier stärken: etwa durch die Schaffung von offenen Räumen für Begegnungen, aber auch durch Massnahmen, welche die Menschen tatsächlich an diese Orte bringen. Ein solches Angebot könne von Quartierzentren und Nachbarschaftsinitiativen bis zu Strassenfesten und Kompostgruppen reichen.

«Die verschiedenen Eigenheiten der Stadtquartiere liessen sich in ihrer Vielfalt gegen aussen noch stärker darstellen», ergänzt die Forscherin und spricht da auch das Standortmarketing an. So gehören für sie neue Initiativen wie der vor einigen Jahren eingeführte Samstagsmarkt im Matthäusquartier zu den positiven Entwicklungen. Früchte und Gemüse einkaufen mitten in der Stadt: Während der Arbeit an ihrer Dissertation wohnte Schlumpf selbst hier ganz in der Nähe und lernte das urbane Markttreiben schätzen.


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