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Forschen im Dienste der Nachhaltigkeit (01/2015)

Forschen im Dienste der Nachhaltigkeit

Thomas Pfluger

Unsere Generation konsumiert Energie und Ressourcen, als ob es kein Morgen gäbe. Die Schweizerinnen und Schweizer verbrauchen – und das ist nur ein Beispiel – zwischen 11 und 12 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr. Selbst wenn die Reserven noch einige Jahrzehnte vorhalten: Was tun, wenn sie zu Ende sind?

Die Stabilität von Systemen hängt stark von den Ressourcen ab, die im System vorhanden sind. Wenn die Ressourcen so rasch verbraucht werden, dass sie sich nicht erneuern können, wird sich das System selbst verändern. Im Klartext heisst das: Unser Ökosystem, aber auch Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme werden einem grundlegenden und raschen Wandel unterliegen, wenn wir nichts unternehmen.

Zwar gehört Wandel zum Leben. Bedrohlich kann aber seine Geschwindigkeit werden. Und wir sind schnell unterwegs: Der WWF spricht vom «grössten globalen Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier», und die Erde erwärmt sich laut Klimaforschern so stark wie seit 65 Millionen Jahren nicht mehr. Wir wissen nicht, welche Katastrophen die anstehenden Veränderungen mit sich bringen werden und wie unsere Gesellschaft darauf reagieren wird. Manche Wissenschaftler befürchten chaotische Zustände. Besser wäre es, unsere Ressourcen sorgfältig einzusetzen.

Diese einfache Wahrheit umschrieb der Leipziger Forstwirtschaftler Hans Carl von Carlowitz schon 1713 in seinem Traktat zur Waldnutzung erstmals mit dem Begriff der Nachhaltigkeit. Er stellte sich die Frage, «wie eine … Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe».

Erst ein viertel Jahrtausend später begann aber der grosse Aufstieg der Nachhaltigkeitsforschung. Zwei Publikationen waren prägend dafür: die am dritten St. Galler Symposium vorgestellte Studie «Die Grenzen des Wachstums» von 1972 und die von US-Präsident Jimmy Carter in Auftrag gegebene Arbeit «Global 2000», die 1980 erschien. In den 1980-Jahren des 20. Jahrhunderts festigte sich dann das moderne Verständnis der Nachhaltigkeit. Die Brundtland-Kommission der UNO beschrieb 1987 eine Gesellschaft als nachhaltig, wenn sie «die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können».

Wie das gehen soll, ist allerdings nicht so einfach herauszufinden. Eine gerechte Ressourcenverteilung zwischen den heute lebenden Menschen und zwischen den Generationen erfordert viel Wissen. Hier ist die Forschung gefragt.

Die Universität Basel engagiert sich mit einem eigenen Schwerpunkt für die Nachhaltigkeits- und Energieforschung. Der Botaniker Ansgar Kahmen untersucht etwa die Reaktion unserer Pflanzenwelt auf den Klimawandel und der Wirtschaftsprofessor Frank Krysiak geht der Frage nach, was Nachhaltigkeit aus ökonomischer Perspektive genau ist. Im Reigen der Nachhaltigkeitsforscher sind auch Fachleute aus der Soziologie und vielen anderen Fachrichtungen vertreten.

Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel, nennt zwei Gründe für dieses Engagement: «Einerseits wird seit dem Unfall von Schweizerhalle intensiv an der Schnittstelle von Mensch, Gesellschaft und Umwelt geforscht und gelehrt», erklärt er. «Die Universität Basel ist in diesem Bereich eine Pionierin der Schweizer Hochschullandschaft.» Andererseits hat die Universität als einzige nicht technische Hochschule der Schweiz eines der nationalen Kompetenzzentren für Energieforschung (Swiss Competence Center for Energy Research, SCCER) anvertraut bekommen, nämlich das Kompetenzzentrum für Energie-, Gesellschafts- und Transitionsforschung (Competence Center for Research in Energy, Society and Transition, CREST). Die Universität reiht sich damit in die leitenden Institutionen der sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Nachhaltigkeits- und Energieforschung ein. «Der Schwerpunkt ist damit nicht nur für uns, sondern auch für den Forschungsstandort Schweiz sinnvoll», sagt Rektor Loprieno.

Eine «neue Wissenschaft»

Die Nachhaltigkeitsforschung unterscheidet sich in mancher Hinsicht von anderen wissenschaftlichen Tätigkeitsgebieten. Vor allem ist sie in ihren Zielsetzungen nicht ganz frei. Was nachhaltig ist und in welche Richtung der Fortschritt gehen soll, wird wesentlich von Gesellschaft und Politik mitbestimmt. Ein grosser Teil der Nachhaltigkeitsforschung agiert entsprechend praxisorientiert und im Bewusstsein einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.

Aussergewöhnlich ist auch der breite Bogen, den die Nachhaltigkeitsforschung über alle Disziplinen spannt. Oft wird die Nachhaltigkeitsforschung auf Umweltthemen reduziert. Doch gerade auf ökonomischem, philosophischem und sozialwissenschaftlichem Gebiet ist die Universität Basel stark. So arbeiten Forscherinnen und Forscher etwa an wirtschaftlichen Fragen zum Stromnetz der Schweiz. Andere untersuchen, wie ein nachhaltiger Konsum gefördert werden kann. Diese grosse Bandbreite ist auch der Grund, warum Nachhaltigkeitsthemen zunehmend kooperativ angegangen werden – über alle Fakultätsgrenzen hinweg.

Trotzdem ist die Nachhaltigkeitsforschung noch geprägt von den grossen Unterschieden zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Ausrichtungen. Forschende wie die Philosophin Antonietta Di Giulio fordern deshalb mehr Akzeptanz für die interdisziplinäre Arbeit. Der Präsident der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Heinz Gutscher, hat anlässlich einer Tagung an der Universität Basel kürzlich sogar die Entstehung einer «neuen Wissenschaft» angeregt, mit einem «experimentellen Geist» in der Nachhaltigkeitsforschung.

Interdisziplinäre Projekte sollten dort von der Ausnahme zur Regel werden. Damit sich diese neue Denkweise durchsetzt, braucht es auch neue Strukturen in der Forschungsförderung. Die Schweizer Kompetenzzentren für Energieforschung, die der Bund mitfinanziert und steuert, leisten bereits einen wichtigen Beitrag zur vernetzten Nachhaltigkeitsforschung. Gerade das CREST ist besonders interdisziplinär ausgerichtet. Es dürfte kein Zufall sein, dass seine Leitung gerade an die Universität Basel vergeben wurde, wo eine lange Tradition für Zusammenarbeit und Vielfalt existiert.

Die Universität Basel an der Expo Milano

Unter dem Motto «Für eine Zukunft mit Zukunft – Forschen im Dienste der Nachhaltigkeit» präsentiert sich die Universität Basel an der Expo Milano 2015. Die Weltausstellung steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit: Mit dem Fokus «Feeding the Planet – Energy for Life» dient sie als Plattform für eine breite Debatte über die Zukunft des Planeten. In ihrer «Strategie 2014» hat die Universität Basel das Thema Nachhaltigkeits- und Energieforschung als einen Schwerpunkt definiert. Die Expo Milano 2015 bietet nun eine ideale Möglichkeit, einem internationalen Publikum den Stand der Forschung aufzuzeigen.

«Für eine Zukunft mit Zukunft – Forschen im Dienste der Nachhaltigkeit.», 22. Mai 2015, Swiss Pavilion, Mailand.

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