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«Ein notwendiges Übel»: Zur Wahrnehmung der Maske in der Deutschschweiz

Hygienemasken in verschiedenen Farben und Mustern.
Masken machten einigen Befragten Angst und befremdeten sie. (Foto: Unsplash)

In der aktuellen Pandemie gehören Hygienemasken zum Alltag. Sie zu tragen ist vielerorts zur Selbstverständlichkeit geworden. Eine Maskentragepflicht kam in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern allerdings eher spät. Die Basler Bioethikerin Dr. Bettina Zimmermann befragte im April und im Oktober 2020 in der Deutschschweiz Personen dazu, wie sie die Maske wahrnehmen und wann sie eine tragen.

20. Dezember 2021

Hygienemasken in verschiedenen Farben und Mustern.
Masken machten einigen Befragten Angst und befremdeten sie. (Foto: Unsplash)

Frau Zimmermann, wie akzeptiert ist die Hygienemaske bei der Schweizer Bevölkerung als Massnahme gegen die Verbreitung von Covid-19?

Um diese Frage zu beantworten, bräuchte man quantitative Daten, also «Wie viel Prozent finden die Massnahmen gut, wie viel nicht». Unsere Studie ist aber qualitativ: Wir haben in der Deutschschweiz insgesamt 31 Personen befragt. Dies lässt keine statistischen Analysen zu; das war aber auch nicht unser Ziel. Trotzdem achteten wir bei der Rekrutierung darauf, dass wir einen möglichst guten Querschnitt durch die Bevölkerung haben, zum Beispiel was Alter, Lebensform, Ausbildung oder Einkommen angeht.

Welche Aussagen können Sie aufgrund Ihrer Befragung zur Wahrnehmung der Maske machen?

Wir wollten wissen, wie die Leute die Coronapandemie erleben, und die Gründe der Praktiken und Details der Erlebnisse während der Pandemie evaluieren. Dazu haben wir im April und Oktober 2020 Interviews durchgeführt und die Leute zu ihrer Einstellung in Sachen Covid-19 befragt. Wir haben relativ offen gefragt und die Leute erzählen lassen, zum Beispiel, wie sie zur Maske stehen.

Nämlich?

In beiden Befragungen sagten einige, dass ihnen die Masken Angst machten, sie befremdeten. Es schien eine kulturelle Konnotation zu geben: Viele verbanden die Maske mit Asien und wollten nicht, dass sie hier auch zum gängigen Bild gehörte.

Die Leute gaben an, dass sie die Maske als notwendiges Übel in Kauf nehmen, wünschten sich aber, dass sie nach der Pandemie wieder verschwindet. Im April war die Maske als Massnahme zum Schutz vor einer Ansteckung noch nicht allzu verbreitet und wurde eher selten genannt, im Oktober dann deutlich häufiger.

Am Anfang der Pandemie sagte das BAG ja auch, dass der Schutz durch Masken eher gering sei…  

Viele nahmen Bezug auf das, was die Behörden sagten. Sie schätzten den Nutzen der Maske nicht als hoch ein und trugen deshalb auch keine. Andere waren irritiert, dass die Maske seitens Behörden so stark abgelehnt wurde. Einige gaben an, dass sie Leute belächeln, die eine Maske tragen, jemand empfand Maskenträger gar als hysterisch. Dadurch, dass die Maske so gut sichtbar ist, fiel sie den Leuten auf – im Frühling vor allem negativ.

Gab es weitere kritische Punkte?

Die Leute empfanden die Kommunikation der Behörden in Zusammenhang mit der Maske als widersprüchlich. Sie waren unsicher, ob sie nun etwas bringt oder nicht, und fingen von sich aus an, Vor- und Nachteile abzuwägen. Sie hatten den Eindruck, die Maske behindere die Kommunikation, und fühlten sich durch sie daran erinnert, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Andere empfanden die Maske hingegen positiv, weil sie ihnen eine gewisse Sicherheit gab und erlaubte, wieder an Orte zu gehen, an die sie sonst nicht gegangen wären.

Im Oktober 2020 befragten Sie die gleichen Leute wie im April erneut. Inwiefern hatte sich ihre Einstellung zur Maske verändert?

Sie hat sich diametral verändert. Die Leute waren im Oktober der Maske gegenüber deutlich aufgeschlossener, viele trugen eine, wo es empfohlen war. Das ist nicht weiter erstaunlich, weil sich die Erkenntnisse über den Nutzen der Maske und die Kommunikation der Behörden grundsätzlich verändert hatten. Zudem stiegen die Fallzahlen. Nun wurden eher jene Leute komisch angeschaut, die keine Maske trugen, etwa im Zug. Im ÖV galt die Maskenpflicht ja bereits seit Juli. Wir hatten in unserer Kohorte leider niemanden, der sich als Maskenverweigerer bezeichnet hätte. Das wäre eine interessante Perspektive gewesen.

Im Zeitraum der Befragung – Mitte Oktober – kam die Maskenpflicht in Innenräumen. Welche Reaktionen gab es? 

Bei einigen Personen, die wir nach der Einführung befragten, kam eine Erleichterung darüber zur Sprache. Erstens, weil nun mehr Leute eine Maske trugen und darum der Einzelne nicht mehr so ausgestellt war, zweitens wurde ihnen nun die Entscheidung abgenommen, wann sie eine Maske tragen müssen. Man merkte auch, dass sich die Leute in Anbetracht der steigenden Fallzahlen Sorgen machten. Umfragen zu jener Zeit zeigten, dass die Zustimmung einer Maskenpflicht in der Bevölkerung relativ breit war.

Keine Entrüstung?

Es kam schon auch zutage, dass viele die Eigenverantwortung und die Autonomie vor der Einführung der Maskenpflicht schätzten. Daran appellierten die Behörden ja ausdrücklich. Als die Pflicht dann kam, spürte man durchaus, dass sich manche Leute zu etwas gezwungen fühlten.

Es ging allerdings weniger darum, dass sie keine Maske tragen wollten, vielmehr wollten manche selber entscheiden können, wann und wo. Es gab also unterschiedliche Reaktionen und Sichtweisen zur Maskenpflicht.

Sie haben erwähnt, dass sich Leute ausgestellt fühlten, wenn sie als Einzelne eine Maske trugen. Beeinflussten solche psychologischen Faktoren das Verhalten der Menschen?  

Ja. Das ist einer jener Befunde, die wir relevant finden. Vor der Einführung der Maskenpflicht gab es Trage-Empfehlungen, etwa wenn viele Leute auf engem Raum waren. Einige Befragte berichteten, dass sie sich komisch vorkamen, eine Maske zu tragen, obwohl trotz Empfehlung niemand um sie herum eine trug. Sie fühlten sich ausgestellt und befürchteten, dass andere sie für ansteckend halten könnten. Daher verzichteten sie eher auf die Maske, auch wenn sie das Gefühl hatten, dass es angebracht wäre, eine zu tragen. Sie handelten aufgrund von sozialem Druck gegen ihre Intuition.

Würden Sie entsprechend sagen, dass die Einführung einer Maskenpflicht aus sozialer Sicht sinnvoll war und ist?

Ausgehend von unseren Daten kann man das schon so sagen, ja. Wenn man forcieren will, dass mehr Menschen eine Maske tragen, dann erreicht man dies mit einer Pflicht am besten. Andererseits erinnere ich mich an die Aussage einer Person, dass sie die Eigenverantwortung doppelt motiviere, dann eine Maske zu tragen, wenn es ihr sinnvoll erschien. Aber nicht jeder hat das Wissen oder die Kapazität, diese Entscheidung für sich zu treffen. Es kostet ja auch Energie, sich immer zu überlegen «Soll ich eine Maske tragen oder nicht?». Der Gruppendruck beeinflusst die eigene Entscheidung ebenfalls, wenn auch nicht bei jedem gleich stark. Ein Schild «Hier gilt Maskenpflicht» ist eindeutig und kann deshalb entlasten.

Kann man folgern, dass Leute, die die Maske als Massnahme unterstützen, auch andere Massnahmen für sinnvoll halten?

Ich tue mich schwer, hier einen Zusammenhang im Sinne einer Korrelation festzustellen. Welche Einschränkungen man bereit ist, in Kauf zu nehmen, ist sehr individuell und abhängig von der persönlichen Risiko-Einschätzung in Bezug auf sich und andere. Das gilt für die Maske ebenso wie für andere Massnahmen.

Was sind die zentralen Erkenntnisse Ihrer Befragungen? 

Eine wichtige Take-Home-Message für uns war, dass man gerade in kulturell westlichen, liberalen Ländern gut abwägen muss zwischen dem sogenannten Risk-Benefit-Assessment einer Maskenpflicht und der Autonomie, die man den Leuten zugesteht. Aus unserer Sicht ist das kein Pendel, das klar in die eine oder andere Richtung ausschwingt, sondern eine Frage, die je nach Situation neu evaluiert werden muss. Nach meinem Dafürhalten hat man das in der Schweiz bisher gemacht.

Länderübergreifende Forschung während der Pandemie

Die Studie ist Teil der Forschungsgemeinschaft «Solidarity in times of a pandemic» (SolPan). Sie wurde im März 2020, also gleich zu Beginn der Pandemie, ins Leben gerufen. Anfangs waren neun europäische Länder beteiligt, inzwischen sind es noch fünf, eines davon ist die deutschsprachige Schweiz. Die Leitung des Projekts liegt bei der Technischen Universität München.

Dr. Bettina Zimmermann forscht am Institut für Bio- und Medizinethik der Universität Basel sowie am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München und engagierte sich zuerst ehrenamtlich in der Datenerhebung. Seit diesem Jahr wird sie vom Forschungsfonds der Universität Basel unterstützt. Die Studie wurde zudem unterstützt vom Deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und im Journal «BMC Public Health» veröffentlicht.

Für die Studie sprachen Zimmermann und ihre Co-Autorinnen der Technischen Universität München im April 2020 mit 31 Personen aus der Deutschschweiz, im Oktober 2020 befragten sie 25 Personen erneut. Im Oktober 2021 gaben die gleichen Leute abermals Auskunft – 23 aus dem Vorjahr sowie vier neue Personen. Die Transkription und Auswertung dieser Interviews läuft derzeit. Erste Resultate dürften im Sommer 2022 vorliegen.

Originalpublikation

Bettina Maria Zimmermann, Johanna Eichinger, Franziska Schönweitz, Alena Buyx
Face mask uptake in the absence of mandates during the COVID-19 pandemic: a qualitative interview study with Swiss residents.
BMC Public Health (2021), doi.org/10.1186/s12889-021-12215-4

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