Therapie im Zellinneren
Bisher unheilbare Krankheiten liessen sich womöglich therapieren, wenn man gezielt therapeutische Proteine in Zellen einschleusen könnte. Eine seit rund 30 Jahren erforschte Methode dafür scheiterte jedoch oft daran, dass viele dieser Wirkstoffe auf halbem Weg stecken blieben. Ein Forschungsteam der Universität Basel hat nun eine Lösung gefunden.
02. November 2021
In der Palette der Arzneimittel haben Proteine wie Antikörper, Insulin oder andere Botenstoffe ihren festen Platz. Allerdings entfalten die bisher eingesetzten Proteine nur ausserhalb der Zelle ihre Wirkung. Pharmakologische Proteine auch in Zellen einzuschleusen ist ein Ziel, das die Forschung seit Jahrzehnten verfolgt. So liessen sich beispielsweise die Aktivitäten von Genen steuern und Erkrankungen behandeln, die auf einen Mangel oder einen Überschuss bestimmter Genprodukte zurückgehen.
Forschende entdeckten bereits vor rund 30 Jahren eine Möglichkeit, Proteine durch das Anhängen einer Peptidstruktur in die Zelle einzuschleusen. Besagte Peptidstruktur bringt Zellen dazu, das Protein zu «verschlucken».
Allerdings blieben die Proteine in den Zellen selbst in kleinen Membranbläschen, sogenannten Endosomen, hängen, und kamen nicht bis in den Zellkern. «Das Potenzial von Proteinen als Arzneimittel innerhalb von Zellen ist deshalb bis heute kaum erschlossen», erklärt PD Dr. Albert Neutzner vom Departement Biomedizin der Universität Basel und von der Augenklinik des Universitätsspitals Basel.
Unerwünschte Verankerung
Neutzner und sein Team haben eine Lösung für das Problem gefunden und berichten davon im Fachjournal «Molecular Therapy». Die Forschenden hatten ein Proteinkonstrukt entwickelt, das über die Steuerung eines bestimmten Gens den Blutdruck der Venen in der Retina des Auges regulieren soll. Sie wollten so eine Venenerkrankung behandeln, die zu Blindheit führt. Zwar wurde ihr Protein von Zellen aufgenommen, blieb dann jedoch in den Endosomen hängen.
Genauere Untersuchungen ergaben, dass das Proteinkonstrukt nicht nur in den Bläschen eingeschlossen blieb. «Das Peptid-Anhängsel, das das Einschleusen des Proteins in die Zelle ermöglicht, bleibt regelrecht an der Innenwand der Endosomen verankert», sagt Neutzner.
Um das Problem zu lösen, machten sich die Forschenden zunutze, dass Endosomen Enzyme enthalten, die Proteine an spezifischen Stellen zerschneiden. So bauten sie in ihr Proteinkonstrukt eine solche Schnittstelle zwischen dem Anhängsel und dem eigentlichen Wirkprotein ein. «Wir ermöglichen damit sozusagen, dass die Enzyme die Ankerkette durchtrennen und unser Wirkprotein sich anschliessend frei in der Zelle bewegen kann», erklärt Projektleiterin Dr. Corina Kohler.
Versuche mit Zellkulturen und anschliessende Tierversuche mit Schweinen zeigten vielversprechende Ergebnisse: Das Wirkprotein gelangte in die Zellen, verteilte sich wie gewünscht und entfaltete seine Wirkung.
Schnittstellen als Schlüssel zum Erfolg
Dass Forschungsgruppen in der Vergangenheit mit verschiedenen Proteinkonstrukten mal sehr gute Ergebnisse erhielten, mal wenig erfolgreich waren, führt Neutzner vor allem auf die Protein-schneidenden Enzyme zurück. «Manche Konstrukte enthielten vielleicht zufällig eine Schnittstelle an einer günstigen Stelle, andere enthielten keine oder an einer ungünstigen Stelle, sodass das Wirkprotein inaktiv wurde.»
Das Konzept, die Enzym-Schnittstellen zu optimieren, liesse sich auch auf andere Proteinkonstrukte anwenden. So könnten Proteine als Wirkstoffe in Zellen allenfalls doch noch ihr Potenzial entfalten und neben anderen Methoden – wie etwa Gentherapien – den Werkzeugkasten der Medizin ergänzen.
Originalpublikation
Claudia C. Bippes et al.
Endosomal disentanglement of a transducible artificial transcription factor targeting endothelin receptor A.
Molecular Therapy (2021), doi: 10.1016/j.ymthe.2021.09.018