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Schöne Erholung – Neues aus der Schlafforschung (01/2016)

Grüne Vielfalt zwischen Asphalt und Beton

Text: Yvonne Vahlensieck

Im Kanton Basel-Stadt gibt es zahlreiche kleine Wäldchen – und viele davon sind mitten in der Stadt. Eine Naturschutzbiologin der Universität Basel untersucht nun erstmals das Ökosystem dieser grünen Inseln im urbanen Raum.

Das kleinste untersuchte Waldstück: ehemaliger Obstgarten in Riehen. (Bild: Ramona Melliger)
Das kleinste untersuchte Waldstück: ehemaliger Obstgarten in Riehen. (Bild: Ramona Melliger)

Waldforschung im Stadtkanton – das klingt zunächst nicht gerade vielversprechend. Doch ein Blick in die Statistik zeigt: In Basel-Stadt gibt es über vier Quadratkilometer Waldfläche. Die Mehrheit des Walds besteht jedoch nicht aus grossen, zusammenhängenden Stücken, sondern setzt sich aus vielen kleinen Parzellen zusammen. Es sind die letzten Überreste ehemals grosser Wälder, verwilderte Obstanlagen oder im Lauf der Zeit überwucherte Grundstücke.

Aber kann man diese eher zufälligen Ansammlungen von Bäumen im Siedlungsgebiet überhaupt noch als Wald bezeichnen? Ein richtiger Wald erbringt eine grosse Anzahl von Leistungen für das Ökosystem – unter anderem bietet er vielfältigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen, verbessert die Bodenqualität, speichert Wasser und reinigt die Luft. Können die kleinen Waldfragmente diese Aufgaben ebenfalls erfüllen?

Mit dieser Frage befasst sich Ramona Melliger am Institut für Natur, Landschafts- und Umweltschutz (NLU) der Universität Basel. Für ihre Doktorarbeit untersuchte sie 27 Waldparzellen von unterschiedlicher Grösse und in verschiedenen Teilen der Stadt. Das grösste untersuchte Stück war ein etwa 50 000 Quadratmeter grosser Wald in Bettingen, das kleinste – mit 258 Quadratmetern gerade einmal so gross wie ein Tennisplatz – ein ehemaliger Obstgarten in Riehen. Andere Untersuchungsflächen lagen im Wohnquartier Bruderholz, am Rheinufer und in der Nähe des Güterbahnhofs Wolf.

Heimat für viele Pflanzenarten

Der erste und wichtigste Schritt der Untersuchung war die Erfassung jener Pflanzenarten, die in den ausgewählten Waldstücken wuchsen. «Für die Ökosystemleistungen eines Waldes sind im Wesentlichen die Pflanzen relevant», erklärt Melliger. «Tiere leisten zwar auch einen Beitrag, doch Pflanzen bilden gewissermassen das Rückgrat eines Ökosystems.» Um die Arten zu erfassen, steckte sie in jedem Waldstück sechs zufällig ausgewählte, vier mal vier Meter grosse Quadrate ab. Innerhalb dieser Quadrate dokumentierte sie alle gefundenen Arten: von Bäumen über Sträucher bis hin zu Blumen, Kräutern und Farnen. Ein Frühjahr lang pendelte Melliger zu Fuss, per Velo oder mit dem Tram zwischen ihren Forschungsobjekten hin und her, um möglichst viele Pflanzen während der Blüte zu erwischen – denn so lässt sich eine Art am leichtesten bestimmen.

Schon die ersten Ergebnisse brachten eine Überraschung: «Man würde eigentlich annehmen: Je grösser der Wald, desto mehr Arten gibt es», meint Melliger. Doch die statistische Auswertung zeigte keinerlei Zusammenhang zwischen der Grösse der Waldstücke und der Anzahl der gefundenen Arten. So zählte Melliger beispielsweise in dem kleinen, tennisplatzgrossen Stück über 30 verschiedene Pflanzenarten, in einigen grösseren Waldstücken fand sie dagegen wesentlich weniger.

Strassen und Geleise verhindern Diversität

Doch für ein gesundes, stabiles Ökosystem ist nicht nur die reine Artenzahl entscheidend, wichtig ist auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Arten, die sogenannte Diversität. «Wenn nur ganz wenige Exemplare einer Pflanze vorhanden sind, dann ist der Beitrag dieser Art zum Ökosystem sehr gering», erläutert Melliger. Deshalb zählte sie auf kleinen Teilstücken zusätzlich nach, wie viele Exemplare pro Art vorkamen. Und hier schnitten die kleineren Waldstücke deutlich schlechter ab: Oft dominierte am Boden eine einzige Pflanzenart, beispielsweise der Efeu, während andere Arten nur vereinzelt auftraten.

Besonders niedrig war die Diversität in Gebieten mit hoher Bebauungsdichte. Paradebeispiel dafür ist ein Wäldchen in der Nähe des Güterbahnhofs Wolf, das förmlich umzingelt ist von Geleisen, mehrspurigen Strassen und Überbauungen. «Hier ist die Diversität wirklich sehr gering – fast der ganze Boden ist ausschliesslich von Efeu und Bärlauch bedeckt», stellt Melliger fest. Zubetonierte und überbaute Flächen stellen für viele Pflanzensamen offensichtlich ein unüberwindbares Hindernis dar. Und insbesondere Arten, die sich vorwiegend über Wurzeln oder Sprossen ausbreiten, haben kaum eine Chance, auf solchen isolierten Parzellen Fuss zu fassen.

Neben der Diversität fand Melliger noch einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen Gross und Klein: Grosse Wälder beherbergen viele schattentolerante Pflanzen wie beispielsweise das Waldveilchen. In den kleinen Wäldchen dagegen fand Melliger eher typische Waldrandarten oder Heckenpflanzen wie etwa die Gemeine Waldrebe. Verantwortlich dafür ist der sogenannte Randeffekt: Kleine Wälder besitzen im Verhältnis zu ihrer Fläche viel mehr Rand und bieten so mehr Lebensraum für Arten, die auf Licht und Wärme angewiesen sind.

Spinnen signalisieren Störungen

Noch ist unklar, welche Auswirkungen die gefundenen Unterschiede auf die ökologische Leistungsfähigkeit haben: Können diese Wälder im Miniaturformat zum Beispiel einer Vielfalt von Tieren eine Heimat bieten? Um diese Frage zu klären, untersucht Melliger nun in einem nächsten Schritt die Spinnenvielfalt in den untersuchten Waldstücken: «Es hat sich gezeigt, dass Spinnen gute Indikatoren für Störungen im Ökosystem sind.» Ausserdem kommen Spinnen so zahlreich vor, dass es kein Problem ist, genügend grosse Stichproben davon zu sammeln.

Im letzten Jahr hat Melliger deshalb mehr als 1500 mit Seifenwasser gefüllte Plastikbecher im Waldboden vergraben – sie dienen als einfache Bodenfallen für Spinnen. Noch sind die mit dieser Methode gefangenen Exemplare nicht gezählt und identifiziert, doch Melliger erwartet eine Ausbeute von mehreren 1000 Spinnen aus mindestens 60 verschiedenen Arten. Die Zusammensetzung und die Häufigkeit der Arten werden dann weitere Rückschlüsse auf die Gesundheit der Stadtwälder erlauben. Ebenfalls bereits im Gang sind Studien zur Ameisenvielfalt und zum Laubabbau.

So soll nach und nach ein vollständiges Bild der Waldfragmente im Stadtkanton entstehen. Dann wird sich zeigen, ob diese trotz aller Unterschiede ebenso viele Ökosystemleistungen erbringen können wie grosse Wälder. Für Prof. Bruno Baur, Professor für Naturschutzbiologie am NLU, ist es höchste Zeit für mehr solcher Forschungsprojekte: «Schon jetzt leben etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten – mit steigender Tendenz. Grüne Flächen wie diese urbanen Wäldchen werden in Zukunft massgeblich zum Wohlbefinden der Stadtbewohner beitragen.»

 


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