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Universität Basel

Ethische Fragen um Mischwesen aus Mensch und Tier

Sabrina Engel

Die Forschung mit embryonalen Stammzellen weckt Hoffnungen auf massgeschneiderte Therapien für schwere Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson. Sie wirft aber auch zahlreiche ethische Fragen auf. Mit einer neuen Technik, die ohne menschliche Embryonen auskommt, haben Forschende aus Grossbritannien versucht, die Problematik zu entschärfen: Sie vermischten tierische Eizellen mit menschlichen Zellkernen. Dies führte aber lediglich zu einer Verschiebung der ethischen Debatte.

Über die Zulässigkeit embryonaler Stammzellforschung diskutieren seit vielen Jahren Vertreter und Vertreterinnen aus Forschung, Politik, Kirche, Patientenverbänden und anderen Gruppen. Eine neue Qualität erreichte die Debatte 2008 in England. Um bei der Herstellung massgeschneiderter Stammzellen keine menschlichen Embryonen verwenden zu müssen, versuchten sich britische Forschende in einer anderen Strategie: Sie entkernten eine tierische Eizelle und verschmolzen sie mit einem menschlichen Zellkern. Die so entstandene Zelle ist aus genetischer Sicht zu 99,9% menschlich und nur zu 0,1% tierischen Ursprungs. Nachdem diese Versuche bekannt wurden, stimmte das britische Parlament über eine Initiative ab, die solche Forschung in Zukunft verbieten wollte. Die Initiative scheiterte, und die Forschung durfte weitergehen, zumindest in Grossbritannien. In der Schweiz ist dagegen die Verschmelzung von menschlichem und nichtmenschlichem Keim- und Erbgut verboten. Europaweit wird jedoch weiter kontrovers diskutiert: Ist es zulässig, menschliches und tierisches Material auf diese Art zu verbinden?

Menschenwürde verletzt?
In der Diskussion dieser Frage greifen die Gegner auf ähnliche Argumente zurück, wie sie schon in der Debatte um embryonale Stammzellen häufig genannt werden. Sie kritisieren das Experiment als unnatürlich, werfen den Forschenden vor, Gott zu spielen und die Menschenwürde zu verletzen. Weitere Argumente betreffen eine unzulässige Verwischung der Artgrenze zwischen Mensch und Tier. Zudem würde durch das Experiment der Weg zu voll entwickelten Mischwesen mit unklarem Status geebnet. Auf der entgegengesetzten Seite stehen die Argumente der Befürworter dieser neuen Technologie. Sie sagen, dass die Forschung enormen Nutzen für die Therapie schwerer menschlicher Erkrankungen bringen könne. Vor allem wird unterstrichen, dass die Stammzellforschung mit der neuen Technologie weitergeführt werden könnte, ohne dass menschliche Embryonen zerstört und ohne dass menschliche Keimzellen verwendet werden. Des Weiteren würde sich der «Hybridembryo» unter keinen Umständen länger als höchstens zwei Wochen nach Entstehung entwickeln dürfen, sodass ein vollständiges Mischwesen gar nicht entstehen könnte.

Keine neuen Bedenken
Als Antwort auf die aktuelle Debatte um solche Mischwesen haben Ethikkommissionen aus verschiedenen europäischen Ländern, unter anderem aus Grossbritannien, der Schweiz und Deutschland, 2011 eigene Berichte veröffentlicht. Alle drei Papiere stellen Tierversuche und das Vermischen von zellulärem und genetischem Material der beiden Spezies Mensch und Tier nicht grundsätzlich infrage, solange Massnahmen des Tierschutzes ergriffen werden und die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze das Ziel der Experimente sind. Zudem konnten die Kommissionen keine neuen ethischen Bedenken gegenüber früheren Diskussionen über biomedizinische Forschung feststellen. Jedoch wurde vor allem im deutschen und schweizerischen Bericht herausgestellt, dass die ethischen Bedenken steigen, je grösser der übertragene «Menschenanteil» ist. Das Übertragen von einzelnen Genen oder einer limitierten Menge an menschlichem Gewebe auf Tiere stösst noch auf wenig Vorbehalte. Werden dagegen menschliche Zellen während der Entwicklungsphase auf ein Tier übertragen, sodass sich ganze Organe oder andere menschliche Strukturen bilden, bestehen grössere ethische Bedenken. Besonders bei der Übertragung von menschlichen Gehirnstammzellen ist laut den Berichten Vorsicht geboten, da dies die Tiere mit menschlichen Eigenschaften wie beispielweise einem menschenähnlichen Bewusstsein ausstatten könnte. In diesem Fall wäre es laut den Berichten theoretisch möglich, dass die Grenze zwischen Tier und Mensch verwischt wird. Es könnten vor allem dann Mischwesen mit unklarem moralischem Status entstehen, wenn Primaten für die Experimente eingesetzt würden. Die Akademie der Medizinischen Wissenschaften Grossbritanniens schlägt in ihrem Bericht «Animals containing human material» vor, solche Versuche zu kategorisieren. In die erste Kategorie würden Experimente mit rein tierethischen Bedenken fallen, die durch Tierschutzgesetze ausreichend geregelt sind; solche Experimente dürften ohne zusätzliche Evaluation durchgeführt werden. Die zweite Kategorie umfasst Experimente, bei denen darüber hinausgehende ethische Bedenken auftreten. Damit sind in diesem Kontext beispielsweise Experimente mit nichthumanen Primaten gemeint. Der Bericht schlägt vor, Versuche dieser Kategorie vor der Durchführung von einem Sondergremium zu evaluieren. Die dritte Kategorie betrifft Experimente, die starke ethische Bedenken auslösen und deshalb nicht durchgeführt werden sollten. Dazu gehören unter anderem Fälle, in denen hybride Embryonen in einen tierischen oder menschlichen Uterus eingesetzt werden. Solche Versuche sind in der Schweiz bereits gesetzlich verboten.

Stammzellen in Tiergehirnen
Sorge in der Forschungsgemeinde hat die Aussage des britischen und des deutschen Berichts ausgelöst, die Transplantation von neuralen Stammzellen auf Tiergehirne, insbesondere auf nichthumane Primaten, unter besondere Beobachtung zu stellen und sie möglicherweise von einem Sondergremium überprüfen zu lassen. Die Forschenden befürchten zusätzliche Hürden bei der Erprobung neuer therapeutischer Ansätze gegen Erkrankungen des Gehirns wie zum Beispiel Alzheimer und Parkinson. Diese Therapien müssten zunächst im Tierversuch getestet werden, idealerweise an Primaten, bevor klinische Tests beginnen können. Die Vorschläge der Ethikkommissionen sind jedoch nicht bindend für die nationalen Gesetzgeber. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen aus den Berichten in der Zukunft gezogen werden und inwieweit die Forschung dadurch behindert werden würde.

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