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«Altersdepressionen sind heilbar»
Christoph Dieffenbacher
Depressionen, die häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter, werden meist zu spät oder gar nicht erkannt. Dabei ist in unseren Alters- und Pflegeheimen jede zweite Person davon betroffen.
Wenn von psychischen Alterskrankheiten die Rede ist, stehen oft Alzheimer und Parkinson im Zentrum, obwohl Depressionen weit mehr vorkommen. Warum?
Depressionen treten in allen Lebensaltern auf, während Demenzen an das Alter gebunden sind. Tatsächlich verdrängen in der öffentlichen Diskussion Demenzerkrankungen die Depressionen – was falsch ist, denn für depressive ältere Menschen könnte viel mehr getan werden. Oft sagt man: Wer alt ist, darf sich doch zurückziehen, müde und traurig sein. Doch es ist erwiesen, dass das nicht der Normalfall ist. Depressionen werden generell zu spät therapiert, im Alter erst recht. Dabei ist die Krankheit gut behandelbar – sie ist kein Schicksal.
Welches sind die Risikofaktoren, im Alter depressiv zu werden?
Ein wichtiger Risikofaktor ist die Veranlagung: Wer selbst schon früher im Leben depressiv war und ein krankes Familienmitglied hat oder hatte, ist eher gefährdet. Frauen trifft es häufiger als Männer. Zudem ist bei der Depression wie bei keiner andern psychischen Erkrankung die Verbindung zu körperlichen Krankheiten stark ausgeprägt.
Welche sind das?
Das sind vor allem Schmerzerkrankungen und Schlafstörungen, weiter auch Einschränkungen körperlicher Art, welche die sozialen Kontakte erschweren, zum Beispiel etwa Geh-, Sehoder Hörstörungen. Auch Altersarmut und Verlusterfahrungen spielen eine Rolle – besonders gefährlich, wenn sie unvorhersehbar waren. Suizide im Alter sind in diesem Kontext häufig, ein ebenfalls stark unterschätztes und auch tabuisiertes Phänomen.
Wie hängen Altersdepressionen mit Demenzen zusammen?
Grundsätzlich sind es zwei verschiedene Krankheiten. Oft aber überlappen sich die Symptome: Jemand mit einer manisch-depressiven Erkrankung wird diese bei einer Altersdemenz behalten. Bei rund 30 bis 40% der Demenzkranken treten in der Anfangsphase depressive Beschwerden wie Rückzug, Interessenverlust und Antriebslosigkeit auf. Auch gibt es Depressionen mit geistigen Beeinträchtigungen, die dann von der Demenz unterschieden werden müssen.
Gibt es Möglichkeiten der Vorbeugung?
Man sollte viel früher eingreifen, um Depressionen zu erkennen und ihnen vorzubeugen – da könnten wir viel Leid vermeiden. Auch müsste die Suizidprävention verstärkt werden. Eine Möglichkeit ist, die Ressourcen der älteren Menschen zu stärken, indem man ihnen zum Beispiel Kurse in Problemlösung oder Beratung zur Alltagsgestaltung anbietet. Viele Ältere wollen sich heute selber helfen und ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen – dieses Potenzial gilt es zu nutzen.
Wie lassen sich Depressionen im Alter therapieren?
Bei der Behandlung überwiegt der Einsatz von Psychopharmaka, was im Alter, in Kombination mit andern Medikamenten, riskant sein kann. Dringend nötig ist heute ein Ausbau des Angebots an Psychotherapien für ältere Menschen – da herrscht grosser Mangel. Dabei weiss man doch, dass sich das Gehirn auch im Alter noch dynamisch verändern kann. Für mich ist es immer wieder etwas sehr Schönes, zu sehen, wie ältere Menschen lernen, dass eine Behandlung bei ihnen noch wirken kann, und wie sie sich darüber freuen.
Gabriela Stoppe
Prof. Gabriela Stoppe (*1958), seit 2003 Titularprofessorin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Basel, war bis 2012 Ärztliche Leiterin des Bereichs Allgemeine Psychiatrie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Nach dem Medizinstudium in Giessen und der Promotion in Marburg war sie an Neurologischen und Psychiatrischen Kliniken in Bern, Hannover und Göttingen tätig. Sie ist Autorin mehrerer Fachbücher über psychische Krankheiten im Alter sowie Expertin und Mitglied in- und ausländischer Kommissionen in diesem Bereich (www.gabriela-stoppe.com).