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Universität Basel

Bild und Spiegelbild

Andreas Pfaltz

Zwei spiegelbildliche, aber nicht deckungsgleiche Moleküle nennt man in der Chemie chiral oder händig: Mit links- oder rechtshändigen Katalysatoren lassen sich gezielt Verbindungen mit der gewünschten Struktur herstellen – was der Produktion von medizinischen Wirkstoffen, Pflanzenschutzmitteln und Riechstoffen dient.

Die Chiralität oder «Händigkeit» (nach dem griechischen «cheir», Hand) ist in vielen Bereichen der Chemie von zentraler Bedeutung. Ein Molekül oder auch ein grösseres Objekt wird als chiral bezeichnet, wenn es mit einem gleichen, spiegelbildlich gebauten Objekt nicht zur Deckung gebracht werden kann: die linke und die rechte Hand, eine links- und eine rechtsdrehende Schraube oder Schneckenhäuser mit Links- und Rechtswindung. Chirale chemische Verbindungen können in zwei spiegelbildlich gebauten Formen auftreten, die als Enantiomere bezeichnet werden (nach dem griechischen «enantios», entgegengesetzt). Die eine Form setzt sich aus lauter linkshändigen, die andere aus den entsprechenden rechtshändigen Molekülen zusammen. Die biologischen Eigenschaften zweier enantiomerer Verbindungen unterscheiden sich oft sehr stark. So wird etwa das eine Enantiomer von Penicillamin als Heilmittel gegen Rheuma eingesetzt, das andere hingegen ist hoch giftig. Auch unsere Nase vermag zwischen zwei enantiomeren Verbindungen zu unterscheiden: Das eine Enantiomer von Carvon riecht nach Minze, das andere nach Kümmel. Die Pharma- und Riechstoffindustrie, aber auch der Pflanzenschutz sind deshalb auf leistungsfähige Verfahren zur Herstellung enantiomerenreiner Verbindungen angewiesen, die also nur aus einem Enantiomer bestehen. Auch in der Grundlagenforschung, vor allem bei der Untersuchung biologischer Systeme, werden solche Syntheseverfahren benötigt.

Vielversprechende chirale Katalysatoren
Von den möglichen Herstellungsmethoden für enantiomerenreine Produkte sind katalytische Verfahren besonders attraktiv. Ein Katalysator ist ein Stoff, der eine chemische Reaktion beschleunigt, ohne dass er dabei verbraucht wird. Bekanntestes Beispiel ist wohl der Abgaskatalysator bei Autos, der dafür sorgt, dass Schadstoffe in harmlose Verbindungen umgewandelt werden. Ein Katalysator kann auch bewirken, dass sich bei einer Reaktion, die ohne Katalysator ein Produktgemisch liefert, selektiv nur ein einziges Produkt bildet. Ein enantioselektiver Katalysator lenkt die Reaktion so, dass eines von zwei spiegelbildlich gebauten Molekülen bevorzugt entsteht. Da er dabei nicht verbraucht wird, genügen im Idealfall winzige Mengen eines solchen Katalysators, um ein enantiomerenreines Produkt in grosser Menge herzustellen. Verfahren dieser Art eignen sich deshalb ganz besonders für industrielle Anwendungen. Wie muss ein enantioselektiver Katalysator beschaffen sein? Wie in vielen Bereichen der Chemie, dient auch hier die Natur als Vorbild. Enzyme (Eiweissmoleküle) sind Paradebeispiele für enantioselektive Hochleistungskatalysatoren; sie können eine Reaktion nicht nur enorm beschleunigen, sondern auch so lenken, dass von zwei enantiomeren Produkten nur eines entsteht. Ihre Wirkungsweise kann man sich vereinfacht so vorstellen: Das katalytisch aktive Zentrum liegt in einer «chiralen Tasche», in welche von zwei enantiomeren Molekülen eines besser hineinpasst als das andere – ähnlich wie die linke Hand in den linken Handschuh passt, nicht aber die rechte. So kann das Enzym zwei spiegelbildliche Reaktionswege unterscheiden, sodass eines von zwei enantiomeren Produkten bevorzugt entsteht. Nur ein chiraler Katalysator kann zwischen zwei enantiomeren Molekülen unterscheiden, ein nicht chiraler (achiraler) aber nicht: Ein Strumpf, im Gegensatz zum Handschuh, ist achiral und passt deshalb genauso gut an den linken wie an den rechten Fuss. Die bisher entwickelten enantioselektiven Katalysatoren sind meist Metallkomplexe und beruhen auf einem einfachen Konzept: Ein katalytisch aktives Metall, das selbst achiral ist, wird mit einem chiralen Liganden (einem organischen Molekül, das stark an das Metall bindet) vereinigt. Das Prinzip ist einfach, die Schwierigkeit besteht jedoch darin, einen geeigneten Liganden zu finden. Erste Versuche in den 1960er-Jahren ergaben nur geringe Enantioselektivitäten. Lange glaubte man deshalb nicht, dass synthetische enantioselektive Katalysatoren eines Tages der Natur Konkurrenz machen und in industriellen Prozessen eingesetzt werden könnten.

Der Durchbruch …
Um 1970 arbeitete William Knowles in der US-Firma Monsanto an der Entwicklung chiraler Rhodium-Katalysatoren für die Hydrierung (Wasserstoffanlagerung an Doppelbindungen). Es gelang ihm, einen Katalysator zu finden, der mit bisher unerreichter Enzym-ähnlicher Enantioselektivität reagierte und in der Herstellung des Anti-Parkinson-Medikaments L-Dopa eingesetzt werden konnte. Dieser Durchbruch, für den Knowles 2001 den Nobelpreis erhielt, leitete eine Entwicklung der enantioselektiven Katalyse ein, die bis heute anhält. Auch andere Wissenschaftler trugen entscheidend dazu bei, vorab Henri Kagan an der Université Paris-Sud in Orsay. Während sich Knowles als Industriechemiker vor allem mit der Anwendung befasste, entwickelte Kagan grundlegende Konzepte, die den Fortschritt der enantioselektiven Katalyse massgebend beeinflussten und von Knowles wiederum zur Optimierung des Monsanto-Katalysators verwendet wurden. Lange war der Anwendungsbereich enantioselektiver katalytischer Verfahren auf wenige Prozesse mit ganz speziellen Ausgangsstoffen beschränkt. Für die Weiterentwicklung galt es für die Forschung nun, neue Klassen von Katalysatoren zu finden, die sich auch für andere Anwendungen eignen. Dabei zeichneten sich vor allem Ryoji Noyori an der Nagoya- Universität in Japan und Barry Sharpless (damals am MIT, heute am Scripps Research Institute in Kalifornien) durch richtungweisende Beiträge aus, für die sie gemeinsam mit Knowles mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

… und stürmische Entwicklungen
Die enantioselektive Katalyse hat in den letzten 30 Jahren eine stürmische Entwicklung durchgemacht und ist auch heute noch ein äusserst dynamisches, intensiv bearbeitetes Forschungsgebiet. Neben vielen neuen chiralen Metallkatalysatoren sind in jüngerer Zeit auch kleine, rein organische Moleküle als effiziente, leicht herstellbare Katalysatoren ins Zentrum gerückt. Doch breit anwendbare, leistungsfähige Katalysatoren, die sich auch für industrielle Prozesse eignen, sind immer noch rar. Vom Idealbild einer chemischen Reaktion, die unter dem Einfluss winziger Mengen eines chiralen Katalysators nur ein einziges Produkt mit der gewünschten dreidimensionalen Struktur liefert, das dann ohne weitere Reinigungsschritte in reiner Form isoliert werden kann, ist man meist noch weit entfernt. Ein wichtiges Ziel ist es auch, die Wirkungsweise von Katalysatoren besser zu verstehen, um so eine Grundlage für ein rationales Design zu schaffen. Ein anderer Forschungszweig befasst sich derzeit mit dem Einsatz kombinatorischer Methoden bei der Entwicklung neuer Katalysatoren. In der Schweiz hat die Forschung über Chiralität mit zwei Nobelpreisen (Alfred Werner 1913, Vladimir Prelog 1975) langjährige Tradition. Auch in jüngerer Zeit kamen aus Schweizer Labors immer wieder richtungweisende Beiträge zur enantioselektiven Katalyse. Der mit über 10’000 Tonnen pro Jahr mengenmässig bedeutendste solche Prozess weltweit wird in der Firma Syngenta in der Region Basel zur Herstellung des Pflanzenschutzmittels Metolachlor durchgeführt. Der neuartige, extrem leistungsfähige Iridium-Katalysator, der dabei verwendet wird, war von einem Wissenschaftlerteam der damaligen Ciba-Geigy in langjähriger Forschungsarbeit entwickelt worden. Dieses Team ist inzwischen in einer unabhängigen Spin-off-Firma, der Solvias AG in Basel, tätig, die sich auf enantioselektive Katalysatoren und Prozesse spezialisiert hat. Auch an der Universität Basel wird auf diesem Gebiet intensiv geforscht. Ein Schwerpunkt meiner Arbeitsgruppe liegt auf der Entwicklung neuer, möglichst breit anwendbarer chiraler Liganden. Mehrere davon haben inzwischen zahlreiche Anwendungen in der enantioselektiven Katalyse gefunden und gehören heute zu den Standardwerkzeugen der Synthesechemiker. Diese Arbeiten haben in den letzten Jahren zu einem Durchbruch in der enantioselektiven Hydrierung geführt. So gelang es, mit Iridium-Katalysatoren hoch selektive Reaktionen durchzuführen, die mit andern Katalysatoren nicht möglich sind, etwa bei der Synthese von Vitamin E. Auch in der Gruppe von Prof. Wolf-Dietrich Woggon wurden neue, hoch selektive Hydrierkatalysatoren entwickelt, die auf ähnlichen Prinzipien beruhen, wie man sie von Biokatalysatoren kennt. In der Gruppe von Prof. Helma Wennemers liegt der Fokus auf rein organischen, metallfreien Katalysatoren, die sich von natürlichen Aminosäuren ableiten; Katalysatoren dieser Art sind leicht zugänglich und breit modifizierbar. Die in den letzten Jahren erzielten Ergebnisse zeigen ein grosses Potenzial für diese von der Natur inspirierten Katalysatoren. Die Gruppe von Prof. Thomas Ward arbeitet in einem neuen Gebiet der Katalyseforschung: im Grenzbereich zwischen biologischer und anorganischer Chemie. Ziel ist die Herstellung von Hybridkatalysatoren unter Verwendung von natürlichen Enzymen und synthetischen, katalytisch aktiven Metallkomplexen. Denn die in der «chiralen Tasche» von Eiweissmolekülen eingebetteten Metallkomplexe können enantioselektive Reaktionen auslösen, die für natürliche Enzyme ausser Reichweite liegen.

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