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Universität Basel

Von grossen Molekülen und Einzellern

Thomas Pfohl

Die Beobachtung der Bewegung von grossen Molekülen und Einzellern in Flüssigkeiten eröffnet faszinierende Einblicke in die molekularen Eigenschaften und in das Leben im Kleinen – und inspiriert darüber hinaus zu neuartigen Experimenten.

Fluoreszenzmikroskopische Abbildung der hydrodynamischen Fokussierung einer wässrigen Fluorescein-Lösung durch wässrige Lösungen in den Seitenkanälen. Die Kanalbreiten sind 100 Mikrometer. Über das Bild wurde eine Skizze des Mischverhaltens und die Initiierung von chemischen Reaktionen in einem solchen Mikrofluidik-Bauteil gelegt.
Fluoreszenzmikroskopische Abbildung der hydrodynamischen Fokussierung einer wässrigen Fluorescein-Lösung durch wässrige Lösungen in den Seitenkanälen. Die Kanalbreiten sind 100 Mikrometer. Über das Bild wurde eine Skizze des Mischverhaltens und die Initiierung von chemischen Reaktionen in einem solchen Mikrofluidik-Bauteil gelegt. © Thomas Pfohl

Mithilfe der sogenannten Mikro- und Nanofluidik können biologische Moleküle und sogar komplette Zellen in Flüssigkeitsvolumen von weniger als einem Picoliter (einem Billionstel Liter) gezielt manipuliert, bestimmten Reaktionsbedingungen ausgesetzt und analysiert werden. Wegen der kleinen Probenvolumina, der kurzen Reaktions- und Mischzeiten sowie der Möglichkeit, einzelne Moleküle zu untersuchen, besitzt die Mikro- und Nanofluidik ein besonders grosses Potenzial für biotechnologische und biomedizinische Anwendungen. Doch lassen sich mit ihrer Hilfe auch grundlegendere Fragen in der Biophysik und der Physikalischen Chemie von biologischen Proben stellen und beantworten.

Ideales experimentelles System
Bei den von uns untersuchten Reaktionssystemen handelt es sich typischerweise um wässrige Lösungen von biologischen Makromolekülen wie DNS oder Proteinen, um Zellbestandteile oder sogar um ganze Zellen. Da die Kanaldimensionen der Mikroflusssysteme vergleichbare Ausmasse haben wie jene der zu untersuchenden Proben, werden dadurch die dynamischen Eigenschaften der biologischen Objekte stark beeinflusst. Somit besitzt man ein ideales experimentelles System, um vielen Prozessen, die in lebenden Zellen ablaufen, auf den Grund zu gehen – beispielsweise dem intrazellulären Materialtransport durch das Proteinnetzwerk des Zellskeletts oder dem Schwimmen von einzelligen Parasiten im strömenden Blut. Der charakteristische Fluss in mikro- und nanofluidischen Experimenten fällt wegen der kleinen Kanalabmessungen in den Bereich der sogenannten laminaren Strömung; hier dominieren Reibungskräfte über Trägheitskräfte und lassen keine Turbulenz entstehen. In den langen und schmalen Geometrien der Mikrokanalsysteme bewegt sich die gesamte Flüssigkeit parallel zur örtlichen Orientierung der Kanalwände. Der Materialtransport senkrecht zur Flussrichtung erfolgt im Wesentlichen durch Diffusion. Schon mikrofluidische Bauteile mit einfachen Geometrien können für eine grosse Zahl von unterschiedlichen, sehr aussagekräftigen und grundlegenden Experimenten genutzt werden. Ein ebenso interessantes wie einfaches Bauteil besteht etwa aus zwei gekreuzten Kanälen. Diese Anordnung bietet die Möglichkeit, einen Flüssigkeitsstrahl in der Mikrokanalstruktur hydrodynamisch zu fokussieren. Die Breite dieses fokussierten Strahls lässt sich durch das Verhältnis der Flussraten des Hauptkanals und der beiden Seitenkanäle gezielt einstellen und kann dadurch wesentlich schmaler werden als die tatsächliche Kanalbreite. Mit dieser Anordnung können je nach den experimentell eingestellten Parametern sowohl Untersuchungen schneller biologischer wie chemischer Reaktionen bei Mischprozessen als auch Reaktionen in Abhängigkeit der Konzentration der Reaktionspartner durchgeführt werden. Die Lösungen mit unterschiedlichen reaktiven Substanzen fliessen dabei beim Zusammenfluss parallel nebeneinander. An der Grenzfläche werden diese Substanzen durch molekulare Diffusion vermischt und dadurch mögliche Reaktionen zwischen den einzelnen Komponenten gestartet. Die Mischzeiten und die lokalen Konzentrationen der Reaktionspartner können durch die Breite des fokussierten Strahls eingestellt werden. Durch Messungen an mehreren, unterschiedlich «flussabwärts» gelegenen Orten kann die zeitliche Entwicklung oder die Konzentrationsabhängigkeit der Reaktion ermittelt werden. Mithilfe dieser Methodik ist es uns gelungen, die Wechselwirkungen zwischen DNS und Histonen (Proteinen, die in Chromosomen unter anderem für das dichte Packen der DNS verantwortlich sind) bei der Faserbildung von Kollagen und beim künstlichen Spinnen von Seide zu untersuchen – und zwar mit unterschiedlichen optischen Mikroskopieverfahren sowie durch die Streuung von Röntgenstrahlung.

Schwimmen ohne Trägheit
Doch auch die «belebte» Mikrofluidik zeigt faszinierende Seiten. Dass in der mikrofluidischen Welt die Reibungskräfte über Trägheitskräfte dominieren, stellt mikroskopische Schwimmer – wie beispielsweise Einzeller – vor grosse Probleme, die man in der makroskopischen, also in unserer Welt nicht kennt. Ein solches Schwimmen ohne Trägheit könnte man sich auf den Menschen übertragen so vorstellen: Allseitig umgeben von zähem Honig und ohne festen Halt, könnten wir uns nicht reziprok vorwärtsbewegen wie beim Kraulen oder Brustschwimmen; damit kämen wir nämlich nicht voran. Dennoch findet man in der Natur Einzeller, die sich durch intelligente Strategien selbständig fortbewegen: So wickeln Kolibakterien die Geisseln an ihrer Zellwand auf, um entweder taumelnd die Richtung zu ändern oder gezielt vorwärtszuschwimmen. Spermien bewegen sich durch das Schlagen eines Flagellums (Geissel) nach vorne. Bei den einzelligen Trypanosomen, welche die afrikanische Schlafkrankheit auslösen, scheint der Bewegungsablauf deutlich komplizierter zu sein: Ihr schlagendes Flagellum ist direkt mit dem Zellkörper verwachsen, der sich damit stark verformt, wodurch sich die Einzeller im umgebenden Medium fortbewegen können. Neben Problemen des Bewegungsmechanismus stellt sich auch eine weitere grundsätzliche Frage: Warum bewegen sich die meisten Einzeller überhaupt? Wegen der mikroskopischen Skala lohnt es sich für sie gar nicht, ihrem «Futter» nachzujagen; der paradiesische Zustand «Sitzenbleiben und Mund aufmachen» ist wegen der molekularen Diffusion genauso effektiv. Und dennoch schwimmen Trypanosomen eigenständig durch den Blutkreislauf ihres Wirts – infizierte Säugetiere –, bis sie im letzten Stadium der Krankheit die Blut-Hirn-Schranke überwinden und ins Gehirn ihres Opfers vordringen. Durch ihr eigenständiges Schwimmen wehren sie sich auf raffinierte Weise gegen angreifende Antikörper: Denn Antikörper, welche die Erreger angreifen und sich an die Oberflächenproteine der Zellmembran binden, werden durch die Strömung, die infolge des kontinuierlichen und gerichteten Schwimmens entsteht, stromabwärts in Richtung Zellmund getrieben, wo sie rasch in der Zelle aufgenommen und «gefressen» werden. Somit ist leicht einzusehen, warum das Verständnis der Fortbewegungsweise von einzelligen Parasiten nicht nur von grundlegendem Interesse ist, sondern auch für Ansätze zur Bekämpfung tödlicher Krankheiten eine wichtige Rolle spielen kann.

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