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Universität Basel

«Über einen EU-Beitritt hinausdenken»

Christoph Dieffenbacher

In der Schweiz steht «Europa» wieder auf der politischen Agenda. Die Zukunft der bilateralen Verträge wird zunehmend infrage gestellt. Wie weiter? Antworten des Ökonomen Rolf Weder.

Rolf Weder
Rolf Weder © Andreas Zimmermann

Die Unzufriedenheit über das aktuelle Verhältnis der Schweiz zur EU scheint beidseits greifbar. Ist der bilaterale Weg am Ende?
Der bilaterale Weg zeichnet sich dadurch aus, dass er die von der wirtschaftlichen Integration der EU ausgehenden Diskriminierungen auf Nichtmitglieder wie die Schweiz vermindert. Schweizer Firmen und Individuen erhalten Zugang zum EU-Binnenmarkt, und EU-Akteure erhalten Zugang zur Schweiz. Gleichzeitig wird auf Basis der bilateralen Verträge nur dort politisch integriert, wo beide Seiten aufgrund ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und institutionellen Eigenheiten ein grosses Interesse haben – eigentlich ein interessantes Modell!

Hier der sanfte Zwang, Europarecht übernehmen zu müssen, dort der Vorwurf der Rosinenpickerei: Ist die Schweiz mit dem Bilateralismus in einer Zwickmühle?
Ein nicht ganz gelöstes Problem ist tatsächlich die Frage, ob und wie sich das in den bilateralen Verträgen vereinbarte Recht an das – wie EU-Vertreter oft betonen – «sich dynamisch entwickelnde» EU-Recht anpassen soll. Für bestehende Abkommen lässt sich dies meines Erachtens relativ einfach regeln. In Zukunft sollte die Schweiz mehr auf gegenseitige Anerkennung des Rechts und der Regulierungen setzen. Dann entstehen diese Probleme gar nicht. Der Vorwurf des Rosinenpickens der Schweiz oder, wie es einige nennen, der Wahl eines «Menüs à la carte» kommt immer wieder. Wie soll man ihn aber bewerten, wenn einem auf Anfrage ein solches Menü offiziell angeboten wird, man dafür den verlangten Preis bezahlt und später beim Essen jemand mit erhobenem Zeigefinger vorbeikommt? Aufgrund unserer Bewertung ist eher die Frage, ob sich die Schweiz bei der Schaffung des öffentlichen Gutes «Stabilität in Osteuropa» nicht etwas mehr engagieren müsste. Das bedingt aber keinen EU-Beitritt.

Hat ein EU-Beitritt durch die jüngste Euro- und Schuldenkrise an Attraktivität eingebüsst?
Sicher, aber nicht primär deswegen. Die abrupte Aufwertung des Schweizer Frankens als Folge der Krise ist für unsere Exportindustrie nämlich eine grosse Belastung, und eine Mitgliedschaft in der Eurozone erscheint eher verlockend. Die Attraktivität eines EU-Beitritts sinkt vor allem wegen der beobachtbaren Tendenz, dass die politische Integration weiter vorangetrieben wird, um den Euro zu retten. Man spricht bereits von der Notwendigkeit, die Sozialsysteme zu harmonisieren. Es ist extrem, wie die EU ein politisches Projekt – das aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht von Anfang an sehr fragwürdig war – mit allen möglichen Mitteln und ohne Rücksicht auf die Kosten zu erhalten versucht. Alles muss als Argument für den Euro herhalten, sogar die Förderung des Friedens in Europa.

Wenn der Druck der EU noch weiter steigen sollte – besteht nicht eines Tages die Gefahr, dass die Schweiz einseitig und mit hohen Kosten nachgeben müsste?
Diese Gefahr besteht, da haben Sie recht. Man muss sie aber dem Risiko eines EU-Beitritts gegenüberstellen, nämlich in einer Institution «gefangen» zu sein, die sich womöglich in eine wirtschaftlich und regulatorisch ungünstige Richtung entwickelt. Wir analysieren solche Fragen auf der Basis einer Theorie, die den EU-Beitritt als «irreversible Investition unter Unsicherheit» betrachtet. Dies erlaubt eine dynamische Betrachtung und eröffnet Optionen, die über einen EU-Beitritt hinausgehen.

Prof. Rolf Weder (*1960) ist Ordinarius für Ökonomie und Europäische Integration an der Universität Basel. Er forscht in den Bereichen «Internationaler Handel» und «Europäische Integration/ Schweiz». Im März 2011 erscheint von ihm (zusammen mit Dr. Beat Spirig): Von Rosinen und anderen Spezialitäten. Die Schweiz und die EU (Verlag Neue Zürcher Zeitung).

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