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Die Gesichtshaut und die Psyche
Peter Itin
Die Gesichtshaut ist ein Organ, das den ersten Kontakt zwischen Menschen ganz entscheidend beeinflusst. An ihr zeigen sich auch verschiedene Krankheiten. Auch in der Kulturgeschichte nimmt die Oberfläche des Gesichts eine prominente Rolle ein.
Die Gesichtsfarbe kennt unendliche Farbnuancen und individualisiert uns auch dadurch in hohem Mass. Sie wird vorwiegend durch die Dichte, Zahl und Grösse der pigmenttragenden Organellen bestimmt, der Melanosomen. Die Zahl der pigmenttragenden Zellen, der Melanozyten, ist bei Menschen aus Afrika, Asien und Europa ungefähr gleich. Verschiedenste Gene sind in die Regulation der Farbgebung des Gesichts involviert: So haben Asiaten, Afrikaner und Europäer unterschiedliche Polymorphismen im Gen «Golden », das eine zentrale Bedeutung in der Farbbestimmung einnimmt. In der westlichen Welt ist die ideale Gesichtsfarbe immer noch braun. So haben 71% der 16- bis 24-Jährigen im Urlaub den innigen Wunsch, braun zu werden; erst über 55-Jährige geben in weniger als 50% an, dass die Hautbräunung ein vordergründiges Ziel des Urlaubs darstellt.
Makel machen attraktiv
Die Haut ist einerseits ein Schutzorgan, anderseits aber auch ein Kommunikations- und Ausdrucksorgan. Im Volksmund heisst es immer wieder, sie sei ein Spiegel der Seele und die Seele ihr Spiegel. In der Kulturgeschichte werden Gesichtsnarben zum Beispiel immer wieder als Symbol des Bösen dargestellt. So hat etwa im bekannten Walt-Disney-Film «Lion King» der böse Gegenspieler «Scar» (auf Deutsch: Narbe) eine grosse Narbe über dem linken Auge. Die Gesichtshaut als Symbol der Perfektion zeigt sich in Leonardo Da Vincis Porträt der Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Als interessant erscheint hier eine vordergründig perfektionistische Darstellung mit kleinen Makeln: Mona Lisa zeigt im linken Nasenwurzelbereich eine Fettablagerung, die als Xanthelasma bezeichnet wird, und am rechten Handrücken ist zusätzlich eine Fettgeschwulst sichtbar, ein sogenanntes Lipom. Dass kleine Unregelmässigkeiten im Gesicht als besonders attraktiv gelten, zeigte auch eine Studie aus Deutschland: Die Porträts von Kandidatinnen einer Miss-Germany-Wahl wurden digitalisiert und daraus ein Idealbild kreiert, das ein absolut perfektes Gesicht ohne Hautveränderungen zeigt. Die tatsächlich gewählte Miss hingegen hatte mehrere kleine Pigmentierungen im Gesicht, die offenbar einen besonderen Reiz ausüben. Auch in der Galerie der berühmtesten Schauspielerinnen gehört es fast obligatorisch dazu, dass eine geringe Gesichtspigmentierung zu sehen ist, so etwa ein Muttermal. Dies trifft auf Liz Taylor, Marilyn Monroe, Liza Minelli, Cindy Crawford und viele andere zu. Zu Frage, was genau ein Gesicht weiblich macht, wurde kürzlich in einer Studie gezeigt, dass dasselbe Gesichtsbild einmal als Mann und einmal als Frau erschien, obwohl die Fotos identisch waren. Lediglich der Mund und die Augenpartien wurden bei der Frau stärker abgedunkelt, was zur Illusion der Weiblichkeit führte. Das Gesicht ist ein Sinnesorgan, das vielfältige visuelle, akustische, olfaktorische und taktile Reize aufnehmen kann. Seine Haut ist mit einem hoch komplexen Nervensystem versehen, das zahlreiche mechanische Rezeptoren aufweist, die für Berührungs- und Bewegungsmeldungen verantwortlich sind. Zusätzlich finden sich sensorische Fasern mit Schmerz-, Kälte- und Wärmeempfindung. Über das Gesicht beginnt bei Menschen die innige körperliche Beziehung: Mit dem Kuss auf das Gesicht und mit der grossflächigen Berührung der Haut erleben wir eine grosse Nähe. Zu einem schönen Gesicht gehören die Kopfhaare – sie bestimmen unsere äussere Erscheinung eindrücklich, weshalb für die Haarkosmetik auch sehr viel Aufwand betrieben wird.
Schauplatz von Krankheiten
Das Gesicht ist aber auch ein Spiegel von genetischen Erkrankungen und Missbildungen; so kann etwa die Lippen-Kiefer- Gaumen-Spalte Ausdruck komplexer genetischer Syndrome sein. Besonders die ektodermalen Dysplasien – spezielle erbliche Defekte – zeigen zahlreiche Auffälligkeiten im Gesicht und beeinflussen auch die Zahnbildung. Die Gesichtshaut kann auch als eigentlicher Datenträger des Lebens angesehen werden, da auf ihr etwa die Spuren durchgemachter Expositionen durch UV-Strahlen deutlich abzulesen sind. In Gustav Klimts Gemälde «Die drei Generationen einer Frau» sind die Hautveränderungen über das Alter sehr schön dargestellt: So zeigt die Greisin eine dünne Haut mit verstärkter Transparenz der darunterliegenden Gefässe. Der Kampf um die ewige Jugend wird besonders bei der Gesichtshaut unerbittlich geführt, was sich in der breiten und kostenintensiven Kosmetikpalette zeigt, die überall angepriesen wird. Jugend und Alter werden vor allem am Aussehen des Gesichts gemessen. Es ist damit ein eigentliches Schmuckorgan, dessen Optimierung praktisch von jedem Individuum mehr oder weniger gesucht wird. Deshalb ist es verständlich, dass Krankheiten, die zu einer Veränderung der Gesichtshaut führen, ganz besondere Rückwirkungen auf die Psyche und die Lebensqualität haben. So führen Gesichtsdermatosen statistisch hoch signifikant zu depressiven Verstimmungen, wie zum Beispiel bei Aknepatienten gut dokumentiert ist. Andy Warhol etwa hatte stets Komplexe wegen seiner grossen Nase, sodass er schliesslich eine plastisch-chirurgische Nasenkorrektur durchführen liess. Die Gesichtshaut kann auch ein Spiegel innerer Erkrankungen sein: Paul Klee litt an einer systemischen Sklerodermie, die zu einer Verhärtung und maskenartigen Veränderung des Gesichts führte. Diese Krankheit brachte auch Einschränkungen der Funktion seiner Finger mit sich, was seine Malfähigkeit nachhaltig beeinflusste. In vielen seiner späten Werke spiegelt sich die Erkrankung durch die besondere Darstellung seines Gesichts wider. Auch Essstörungen können zu relevanten Gesichtsveränderungen führen. So kommt es zu einer verstärkten Behaarung, einer Entzündung der Lippen, einer Vergrösserung der Speicheldrüsen und vermehrter Kariesentwicklung durch das Wiederhochkommen von Magensäure beim induzierten Brechen bei Bulimie und Anorexia nervosa. Gesichtsveränderungen als Folge von medikamentösen Nebenwirkungen sind besonders bekannt bei HIV-Infizierten, die unter einer hochaktiven antiretroviralen Therapie stehen und bei denen sich dadurch eine sogenannte Lipodystrophie entwickelt. Das Fettgewebe im Gesicht wird abgebaut, sodass unnatürliche Konturen entstehen. Systemische Cortisontherapie kann zudem zu einem sogenannten Vollmondgesicht führen. In der Medizin gibt es auch eine genetisch bedingte und erworbene Störung, sich an Gesichter erinnern zu können: die sogenannte Prosopagnosie oder Gesichtsblindheit. Bei solchen Patienten fällt auf, dass sie sich primär an der Mundpartie orientieren und nicht wie die Kontrollgruppe an der Augenregion.
Hautdesign und Tattoos
Die Gesichtshaut als Ausdruck von Umweltveränderungen wurde 1995 auf der Titelseite des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» dargestellt. Dabei machte man vor allem auf die Zunahme der Allergien aufmerksam, bedingt durch die Vermehrung von neuen Substanzen in der Umwelt, die die Haut allergisieren können. Das Gesicht als Schauplatz von psychischen Erkrankungen ist seit Langem bekannt und gipfelt in der in den letzten Jahren an Bedeutung gewinnenden Erkrankung der sogenannten Dysmorphophobie. Dabei haben Patienten die unkorrigierbare Ansicht, unter einer schrecklich entstellenden Gesichtserkrankung zu leiden, die aber nicht objektiviert werden kann. Dies bedeutet für die Ärzte eine grosse Herausforderung in der Führung solcher Patienten. Selbst zugefügte Gesichtshautveränderungen werden als sogenannte Artefaktkrankheiten bezeichnet und spiegeln einen Minisuizid; sie sind also als schwerwiegende Hilferufe der Betroffenen zu werten und müssen ernst genommen werden. Die Darstellung der Gesichtshaut verändert sich in den verschiedenen Kulturepochen. So wurde in der frühen ägyptischen Hochkultur das Gesicht stilisiert und perfektionistisch dargestellt, während die Griechen und Römer eine naturalistische Gesichtshaut bevorzugten. In der christlichen Kunst wurde das Gesicht als Medium für die Darstellung von besonderen Szenen verwendet. Andy Warhol stellte die verschiedenen Gesichter von Marilyn Monroe in plakativer Weise dar. Unsere Kultur hat das Gesicht als Objekt entdeckt, über das verschiedene Botschaften vermittelt werden wie etwa Nationszugehörigkeiten bei einem Fussballländerspiel. Das Gesicht ist auch ein Spiegel der Zeit, wie plastischchirurgische Korrekturen samt «Hautdesign» bei weltberühmten Künstlern wie Michael Jackson dokumentieren. Da die Gesichtshaut ein Präsentationsorgan ist, wird immer wieder versucht, sie kreativ-individuell zu gestalten, weshalb Tattoos und Piercings an Kopf und Hals nicht selten sind. Gesichtsausdrücke als Zeugnisse von Kriegsgräueln und -ungerechtigkeiten gingen wiederholt um die Welt, wie etwa 1972 das Bild von Kim Phuc, einem durch Napalm verletzten nackten Kind, das schreiend flieht. Für die jüngste Zeitgeschichte ist die Dioxinvergiftung des ukrainischen Politikers Viktor Juschtschenko zu erwähnen, die zu einer Entstellung der Gesichtshaut führte; diese fand erst nach Jahren zu einer gewissen Normalisierung zurück. Die wichtige Rolle des Antlitzes in der Gesellschaft hat nicht zuletzt auch dazu geführt, dass inzwischen Gesichtstransplantationen Realität geworden sind, um Patienten mit schweren Verletzungen im Gesicht ihre Identität zurückzugeben.