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Warum tragen Männer keine Röcke?
Michela Seggiani
Warum tragen heute Frauen Hosen, Männer aber keine Röcke? Eine wirklich schlüssige Antwort darauf gibt es wohl nicht. Klar ist, dass die beiden Kleidungsstücke von Frauen und Männern heute nicht nur aus modischen Gründen unterschiedlich getragen werden.
Einem Mann im Rock auf der Strasse zu begegnen, ist ungewohnt und erregt unsere Aufmerksamkeit – nicht so eine Hosen tragende Frau. Seit den Frauenrechtsbewegungen haben sich die Frauen das Recht erkämpft, Hosen zu tragen. Heute prägen Frauen in Hosen in westlichen Gesellschaften das Bild der Frau genauso wie ihre Röcke oder Kleider tragenden Geschlechtsgenossinnen. Männer aber tragen keine oder kaum Röcke. Eine marginale Ausnahme ist neben dem Schottenrock der Männerrock, 1984 vom Modeschöpfer Jean Paul Gaultier auf den Laufsteg gebracht und als kurzlebige Modeerscheinung von männlichen Modeikonen und Stars als Art Maskerade bei öffentlichen Auftritten getragen. Auch wenn der Männerrock nie völlig verschwunden ist, bedient sich heute doch eine nur sehr kleine Gruppe dieses Kleidungsstücks. Es hat sich als Modetrend Ende des 20. Jahrhunderts nicht durchsetzen können und wird heute, wenn es öffentlich getragen wird, als unüblich und «speziell» angesehen. Der Rock gilt als unmännlich, was die Bezeichnung «Männerrock» zeigt. Gleichzeitig gilt die Hose, lange Symbol des bürgerlichen Manns und der Männlichkeit, heute nicht mehr als unweiblich und kann von beiden Geschlechtern gleichermassen getragen werden. Das war nicht immer so: Bis weit ins 18. Jahrhundert war der Rock nicht nur den Frauen vorbehalten; dagegen war die Hose von jeher ein dem Mann zugeschriebenes Kleidungsstück. Kleidung weist uns einer sozialen Gruppe zu und schafft Identität, wozu klar auch die Geschlechtsidentität gehört. Die Körper werden unter anderem durch Kleider als geschlechtlich markierte Körper sichtbar. Wie Männlichkeit und Weiblichkeit in der Kleidung gezeigt und festgemacht werden, hat sich im Lauf der Zeit immer wieder verändert.
Zuschneidungen
Werfen wir einen Blick in die Geschichte und schauen, ob wir eine mögliche Erklärung zur Entstehung der beiden Kleidungsstücke sowie zum weiteren Umgang und der Handhabung mit ihnen finden. Im 12. Jahrhundert wurden die Kleider in Europa, von Frankreich ausgehend, erstmals auf den Körper zugeschnitten, was der mittelhochdeutsche Begriff «snit» (Zuschneiden von Kleidern) zeigt. Diese nun zugeschnittene höfische Kleidung war etwas Neues, nachdem bis dahin seit der Karolingerzeit eine sackartige Kleidung üblich war. Die Schnitttechnik entwickelte sich schnell und griff wegen der verbesserten wirtschaftlichen Lage vom Adel aus auch auf das städtische Bürgertum über. Da die Kleider nun auf die Körperform zugeschnitten wurden, unterschieden sich Frauen- und Männergewänder zwar deutlicher als zuvor voneinander, die Unterscheidung war aber noch nicht massgeblich. Im 14. Jahrhundert verstärkten sich die Kleiderunterschiede, so etwa mit dem Aufkommen des Dekolletés für die Frau. Einzelne Gestaltungselemente wiesen eine Kleidung entweder Frauen oder Männern zu und machten damit eine klare Geschlechtsunterscheidung deutlich: Kleider waren von nun an ein wichtiger Bestandteil der Zuordnung eines Geschlechts. Jedoch ist die Unterscheidung der sozialen Schicht – der Stände – anhand der Kleidung, die jemanden zum Beispiel als Bauer oder Adligen ausweist, wesentlich deutlicher als jene der Geschlechter.
Schönheit der Männerbeine
Der Rock (oder das lange, über die Beine fallende Hemd) wurde nach wie vor von beiden Geschlechtern in allen Schichten getragen. Standesabhängig waren Frauen- und Männerkleider gleichermassen kostbar oder zweckmässig gestaltet, wie uns Bilder und Texte dieser Zeit zeigen. Wichtig ist, dass die Unterscheidung der Geschlechter über die Kleidung zwar bereits seit dem 14. Jahrhundert gemacht wurde, es ging aber eher um graduelle Differenz und Zuordnung. Der biologischen, körperlichen Unterscheidung mass man erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts jene qualitative Bedeutung zu, die wir heute kennen. Wir könnten uns für die Zeit vor dem 18. Jahrhundert folgende Frage stellen: Warum trugen Männer Röcke, Frauen aber keine Hosen? Allerdings wäre damals eine solche Frage auf Unverständnis gestossen, denn warum sollten Männer keine Röcke tragen? Der Rock war ja noch nicht weiblich konnotiert, die Hose als Kleidungsstück aber dem Mann vorbehalten. Es handelte sich bei den Hosen zunächst um strumpfartige, eng anliegende Beinkleidungen, welche die Schönheit der männlichen Beine zur Geltung bringen sollten. So finden wir auf vielen Bildern aus dem Mittelalter Männer mit kurzen Hosen und/oder einem Gewand, das die Sicht auf die Beine zuliess. Jedoch waren dies erst im 14. Jahrhundert Hosen, wie wir sie heute kennen. Diese neue Art des Beinkleids markierte zwar Männlichkeit, verdrängte den Rock für den Mann aber (noch) nicht. Kleiderdifferenz diente in dieser Zeit vorwiegend der Markierung der Standeszugehörigkeit. Die Stoffe, die Farben und die Zuschnitte der Kleidung unterschieden sich zwischen den Ständen sehr stark. Mit dem Aufkommen der immer strenger reglementierenden Kleiderordnungen wurde auch die Trennung der Geschlechter immer ausgeprägter. Vor allem Frauenkleidung war klar und bis in kleinste Details durch Regeln zur Erhaltung von Ehre und Moral festgeschrieben. Aber auch die Männerkleidung unterlag Vorschriften – zum Beispiel durfte der Männerrock nicht zu kurz sein. Über die Jahrhunderte veränderten sich Kleidung und Kleiderordnungen kontinuierlich, immer aber dienten sie zur Einhaltung der bestehenden hierarchischen Ordnung. Im 17. Jahrhundert fand die Mode im Adelsstand ihren Höhepunkt in der Zurschaustellung von Verschwendung und Luxus: Frauen wie Männer trugen Perücken, hohe Schuhe und Röcke. Gleichzeitig propagierte das aufkommende und an Macht gewinnende Bürgertum Zweckmässigkeit und Nüchternheit.
Bürgerliches Zweigeschlechtermodell
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts veränderten sich die bis anhin ständisch definierten Geschlechterrollen: Das Bürgertum setzte sich gegen den Adel durch und stellte diesem seine neuen Ideale entgegen. So wurde mit dem Adel auch dessen Kleidung abwertend feminisiert, das Bürgertum sowie seine Lebensführung und Moral wurden als männlich definiert und idealisiert, repräsentiert durch den (männlichen) arbeitenden Bürger. Die bürgerliche Idee von Männlichkeit – und somit von Mensch – definierte sich unter anderem über Arbeit, Leistung, Aktivität und Verstand. Das Bürgertum brachte ein hierarchisch strukturiertes, hegemoniales Zweigeschlechtermodell hervor, in dem die Frau qualitativ dem Mann unterlegen und untergeordnet war. Der Mann war der Massstab, die Norm, während die Frau als das »Andere», das «Mindere» definiert wurde und ihre Rechte auf Selbstbestimmung verlor. Die Kleidung unterschied sich nun konsequent von jener bunten und verspielten des Adels, etwa durch ihre dunklen Farben und schlichten Schnitte – und sie unterschied sich auch stark nach Geschlecht. Der Mann trug auf keinen Fall mehr einen Rock – höchstens in seiner frühesten Kindheit, denn bis in die 1920er-Jahre kleidete man Mädchen und Knaben bis zum dritten Lebensjahr gleich, trugen Knaben also auch Röcke. Die Hose und der Anzug waren dem Mann vorbehalten, das Tragen von Hosen war für Frauen noch tabu. Die Rechte der Frauen mussten erst wieder mühsam in Frauenrechtsbewegungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts erkämpft werden. Damit einhergehend wurden Forderungen nach Gleichberechtigung auch punkto Kleidung laut, so auch bei der Hose. Als Erstes wurden Frauenhosen für sportliche Betätigungen wie das Radfahren toleriert, obwohl dies zunächst noch hohe Wellen schlug. Dem folgten die Frauenhosen als Teil der Arbeitskleidung, vor allem während den beiden Weltkriegen. Gesellschaftlich akzeptiert wurde das Tragen von Hosen erst in den 1960er-Jahren.
Mann als Massstab
Lange hatte das Tragen einer – vor allem nicht den Körper betonenden – einheitlichen Hose den bürgerlichen Mann repräsentiert und durfte auf keinen Fall feminisiert werden (denn dies hätte bedeutet, es dem effeminierten Adel gleichzutun). Dies kann eine Erklärung dafür sein, dass Frauen so lange Zeit keine Hosen tragen sollten. Denn damit wäre die alleinige Machtposition des bürgerlichen Manns nicht mehr gewährleistet. Umgekehrt würde das Übernehmen eines weiblich codierten Kleidungsstücks wie des Rocks den Verlust der Männlichkeit und ihrer Position bedeuten. Der Mann würde sich damit einer Abwertung unterziehen. Wohl auch deshalb hat sich der «moderne» Männerrock nie wirklich durchgesetzt. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde zwar durch die Frauenbewegungen theoretisch erreicht und gleichzeitig das Tragen von Hosen für Frauen legitimiert. Trotzdem besteht die hegemoniale Geschlechterordnung, die durch das Bürgertum vor etwa 200 Jahren festgeschrieben wurde, nach wie vor. Der Mann dient als Massstab, die Frau nähert sich diesem Status unter anderem mit dem Tragen von Hosen an – der Mann jedoch, der einen Rock trägt, verzichtet damit auf seinen männlichen Status.