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Universität Basel

Der rettende Staat, der lenkende Staat?

Frank Bodmer, Silvio Borner

Nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte hat der Staat in gewaltigem Ausmass mit Stützungsmassnahmen eingegriffen. Allerdings ist er nicht nur als Retter der Banken aufgetreten. Vielmehr haben verschiedene wirtschaftspolitische Fehler zum Entstehen einer massiven Finanzmarktblase und ihrem Platzen beigetragen.

Die extrem kritische Lage auf den Finanzmärkten hat sich inzwischen etwas beruhigt. Die geldpolitische Flutung scheint zu wirken, das aus den Fugen geratene Finanzsystem ist auf dem Weg zur Normalisierung. In den USA und in der Weltwirtschaft zeigen sich erste konjunkturelle Aufhellungen. Von der Krise geht heute keine akute Kollapsgefahr mehr für die Weltwirtschaft aus, doch ausgestanden ist sie sicher (noch) nicht. Die Wirtschaft befindet sich mitten in der schwersten Rezession seit der Grossen Depression der 1930er-Jahre. Eine baldige Rückkehr in die heile Welt vor der Subprimekrise mit einer boomenden Weltwirtschaft könnte noch eine ganze Weile auf sich warten lassen.

Kritisierte Marktwirtschaft
In unserem neuen Buch analysieren wir die Ursachen für die Finanzkrise und damit verbunden die Massnahmen, mit denen eine ähnliche Katastrophe in Zukunft verhindert werden könnte. Hier pendelt die Diskussion inzwischen zwischen zwei Extremen: Auf der einen Seite wird die Marktwirtschaft als gescheitert abgeschrieben; diese Seite proklamiert das Ende der liberalen Position, die in den letzten Jahren zum wirtschaftspolitischen Credo der meisten Länder geworden ist. Auf der andern Seite besteht eine Tendenz, einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Die hohen Gewinne, die einige Investmentbanken 2009 bereits wieder verbuchen konnten, werden dabei als Beweis für die Gesundung des Finanzsystems interpretiert. Wir lehnen beide Ansichten klar ab. Die aktuelle Situation steht in einem deutlichen Gegensatz zur schnellen Rückkehr zum Courant normal nach den Krisen von 1987, 1997 und 2001. Der Politik war es in diesen drei Episoden zumindest in den Industrieländern gelungen, eine andauernde Krise abzuwenden. Durchaus vorhandene kritische Stimmen verhallten weitgehend ungehört, weil sowohl die Wachstumsraten der Wirtschaft als auch die Preise der Finanzanlagen die früheren Spitzenwerte gar noch übertrafen. Schliesslich erklomm die Weltwirtschaft zwischen 2003 und 2007 einen neuen Wachstumsgipfel. Nach diesem Höhenflug war der Schock über die Breite und Tiefe der Krise des Finanzsystems und des Einbruchs der gesamten Wirtschaft umso grösser. Die Eingriffe von Regierungen und Notenbanken sprengten zudem den Rahmen des bisher Vorstellbaren. Allein schon diese quantitative Dimension schliesst eine «Schwamm-Darüber»-Strategie sowohl für die Akteure in der Wirtschaft wie auch für die Verantwortlichen in der Politik aus. Das System der liberalen Marktwirtschaft kann Krisen und Eingriffe, wie wir sie im Moment erleben, nur als absolute Ausnahmeereignisse überstehen. Es ist deshalb verständlich, dass viele Beobachter von einem Paradigmenwechsel sprechen. Der Staat scheint die politische Vormachtstellung gegenüber den Marktkräften zurückerobert zu haben. Einige Beobachter versteigen sich sogar zur Vorhersage eines Endes von Marktwirtschaft und Globalisierung. Andere prognostizieren zumindest das Ende der US-amerikanischen Dominanz von Weltwirtschaft und Weltpolitik. Solche Paradigmenwechsel ereignen sich in der Geschichte immer wieder, aber sind hier wohl fehl am Platz. Bitter nötig ist dagegen ein klares Verständnis der Ursachen der Finanzkrise, um eine Wiederholung zu verhindern. Zwischen den beiden Extremen – Versagen der Marktwirtschaft und Rückkehr zum Courant normal – besteht ein breites Spektrum von alternativen Diagnosen. Dabei ist es hilfreich, die Positionen anhand des gegensätzlichen Paares Staat und Markt zu beurteilen.

Versagen der Finanzmärkte …
Die Finanzkrise ist als Erstens und ganz offensichtlich ein Versagen der Finanzmärkte. Damit muss die vorherrschende Finanzmarkttheorie infrage gestellt werden, die auf der Annahme von effizienten Märkten beruht. Diese Hypothese setzt voraus, dass alle vorhandenen Informationen in die Beurteilung von Preisen und Renditen einfliessen und die Märkte zu effizienten Gleichgewichten hinführen. Die entsprechenden Modelle sind von der sogenannten Behavioral Finance oder von Keynesianern schon vorher stark kritisiert worden. Doch solche Kontroversen sind in der Ökonomie häufig zu beobachten. Entscheidend war deshalb das Zusammenbrechen der realen Finanzmärkte, welches das Marktversagen unübersehbar werden liess. Marktversagen ist ein dem Ökonomen geläufiges Phänomen. Die Nichtberücksichtigung von externen Effekten durch Luftverschmutzung ist ein bekanntes Beispiel für Fehlanreize. Marktversagen durch gestörte Koordination der Entscheide zwischen Unternehmern, Arbeitnehmern, Konsumenten etc. wäre ein anderes, eher makroökonomisches Beispiel. Beide haben in der aktuellen Krise eine Rolle gespielt. Die Kritiker von links gehen noch einen Schritt weiter. Sie interpretieren die Finanzkrise als ein Symptom des Versagens nicht nur von einzelnen Märkten, sondern des Systems Marktwirtschaft als Ganzem. Dass diese Kritik wieder lautstark erschallt, kann niemanden überraschen. Linke oder (andere) religiöse Kapitalismuskritiker wird es wohl immer geben. Die Anprangerung von Märkten und speziell von Finanzmärkten hat eine lange Tradition, die sich unter anderem im Zinsverbot aller grossen monotheistischen Religionen manifestiert hat. Allerdings haben diese Kapitalismuskritiker 20 Jahre nach dem endgültigen Scheitern der sozialistischen Planwirtschaft auch weiterhin erhebliche Mühe, eine gangbare Alternative zur Marktwirtschaft zu skizzieren. Auf den Primat des Staats gegenüber den Märkten fokussiert sich denn auch die Sicht von links. Nachdem der Staat schon für die Grossunfälle der Finanzmärkte haftbar gemacht wird, wäre es aus dieser Sicht doch nur logisch, die (Finanz-)Märkte regulatorisch ein für allemal in die Schranken zu weisen und die Funktion des Staats bei der Kreditlenkung nachhaltig auszubauen. Dies mag auf den ersten Blick einleuchten, geht aber trotzdem in die falsche Richtung.

… und der staatlichen Regulierung
Es trifft zu, dass mit dem Versagen der Finanzmärkte die Nothilfe des Staats unumgänglich wurde. Die Notenbanken haben die Geldmärkte mit Liquidität überflutet, um die Vertrauenskrise zu bekämpfen. Dies erleichterte die Situation der hoch verschuldeten Finanzinstitute. Wo tiefe Zinsen und grosszügige Liquiditätszufuhr nicht ausreichten, griffen Notenbanken und Regierungen den maroden Finanzinstituten mit der Abnahme toxischer Papiere und mit Kapitalspritzen unter beide Arme. Gleichzeitig versuchten die Regierungen, die Rezession mit Konjunkturpaketen zu bekämpfen. Der Staat stützt zudem in seiner Rolle als soziales Sicherungsnetz die Einkommen der Haushalte und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage – ein Effekt, der in der Praxis weit wichtiger ist als die staatlichen Konjunkturpakete. Der Staat hat sich in der Krise damit ohne Frage als Retter der Märkte profiliert. Ausser Regierungen und Notenbanken wäre auch niemand in der Lage gewesen, diese Herkulesaufgaben zu übernehmen. Folgt daraus aber bereits, dass der Staat nicht nur Retter in der Not, sondern auch Lenker der Märkte im Alltag sein soll? Die Antwort auf diese Frage beantworten wir mit einem klaren Nein. Der Staat setzt zwar immer den Rahmen für den Markt. In der Finanzwelt gibt es eine Vielzahl von Vorschriften, die von Finanzmarktaufsicht, Notenbanken oder andern Behörden erlassen werden. Darunter fallen Eigenkapitalvorschriften, die sicherstellen sollen, dass die Banken auch in einem schlechten Marktumfeld über genügend Eigenkapital verfügen, um solvent zu bleiben. Diese Eigenkapitalvorschriften waren ganz offensichtlich ungenügend oder falsch konzipiert, obwohl sie laufend – angeblich – verschärft worden sind. Nicht nur bei der Regulierung der Banken nahm der Staat seine Rolle als Wächter der Wirtschaftsordnung ungenügend wahr. Die Stützungsmassnahmen der Notenbanken für Finanzmärkte in der Krise haben sich inzwischen zum Normalfall entwickelt. Die Interventionen von 1987, 1997 und 2001 haben jeweils das Schlimmste abgewendet. Die Vermutung ist daher nicht abwegig, dass diese Stützungsmassnahmen inzwischen Teil des Geschäftsmodells von Banken und andern Finanzintermediären geworden sind. Im Notfall kann man ja immer mit einer grosszügigen Liquiditätszufuhr der Notenbanken rechnen. Die Häufung von Finanzkrisen in den letzten 25 Jahren ist vor diesem Hintergrund wohl nicht zufällig, sondern vielmehr als unbeabsichtigtes Nebenprodukt der staatlichen Garantien, das Finanzsystem schon bei kleineren Verwerfungen sofort und im Zweifelsfall überdosiert zu stabilisieren. Der Staat sollte deshalb keine neuen Aufgaben als Lenker der Wirtschaft übernehmen. Vielmehr sollte er die Rolle, die er bereits heute einnimmt, besser wahrnehmen.

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