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Sind die hohen Boni schuld?
George Sheldon
Überhöhte Bankgehälter gelten als Ursache der Finanzkrise – zu Unrecht . Lösungen sind anderswo zu suchen.
Überzogene Bankgehälter werden zuweilen als eine mögliche Ursache der jüngsten Finanzkrise angesehen. Bankmanager würden allzu bereitwillig riskante Bankgeschäfte tätigen, da sie im schlimmsten Fall nur ihre Stelle verlieren, sollte sich ihre Geschäftspolitik als erfolglos oder gar existenzbedrohend für ihr Institut erweisen. Wenn die Geschäfte erfolgreich sind, verdienen sie hohe Boni, wenn nicht, bleiben diese lediglich aus. Den Schaden einer misslungenen Politik haben die Eigentümer der Bank zu tragen. Im Finanzjargon gleicht die Stelle eines Bankmanagers einer Put- oder Verkaufsoption mit einem Ausübungspreis von null: Sollte das Geschäft misslingen, «verkauft» der Bankmanager seine Stelle an die Eigentümer zum Nulltarif. Im Volksmund: Bei Kopf gewinnt der Banker, bei Zahl verliert die Bank.
Millionenbeträge
Da ist es nur verständlich, wenn Politiker die Plafonierung von Spitzengehältern und ihre Anbindung an das langfristige Wohlergehen der beschäftigenden Finanzinstitute verlangen. Doch ist der Vorstoss berechtigt? Waren hohe Boni ein Auslöser der Krise, sind die geplanten Reformen die passende Antwort darauf? Zunächst gilt es klären, weshalb Boni überhaupt bezahlt werden. In vielen Berufen bekommen die Arbeiter und Angestellten ein fixes Gehalt, eventuell verbunden mit einer eher bescheidenen Jahresgratifikation, wenn die Geschäfte gut laufen. Weshalb dann die riesigen Boni, die häufig sieben- oder achtstellige Dollarbeträge erreichen? Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften sind stark leistungsabhängige Lohnzahlungen, also Boni, notwendig, um die Ziele des Managements und der Firmeneigentümer (in erster Linie der Aktionäre) in Einklang zu bringen. Manager können zahlreiche Ziele verfolgen: etwa versuchen, ihren Aufwand zu minimieren, ihren Ruf durch eine expansive Geschäftspolitik zu maximieren, ihre Fehler zu kaschieren, das Geschäftsrisiko zu minimieren usw. Das alles ist nicht im Sinn der Besitzer, als deren Ziel gemeinhin die Maximierung der langfristigen Gewinne der Bank und ihres Firmenwerts gilt. Dieser allgemeine Interessenkonflikt zwischen Managern und Besitzern wird in der Wissenschaft als Principal-Agent-Problem bezeichnet. Es entsteht immer dann, wenn Stellvertreter (Agents) die Interessen anderer (Principals) wahren und der Principal nicht direkt beobachten kann, ob der Agent immer in seinem Sinn handelt. Personalexperten betrachten hier gewinnabhängige Löhne als geeignetes Mittel, um den Agent auf Kurs zu halten.
New Yorks Taxi fahrer
Ein Paradebeispiel einer Entlöhnung beruhend auf dem Principal-Agent-Problem ist die Bezahlung von Taxifahrern in New York. Diese müssen zu Wochenanfang dem Taxibesitzer einen typischen Wochenumsatz im Voraus bezahlen und dürfen dafür alle während der Woche erzielten Erlöse behalten. Dass dies anspornt, ist offensichtlich – der Fahrstil der New Yorker Taxifahrer ist auch entsprechend halsbrecherisch. In börsenkotierten Firmen lässt sich das Principal-Agent-Problem allerdings kaum vermeiden. Dies ist auf ein zweites Problem zurückzuführen, das sogenannte Trittbrettfahrer-Verhalten. Es entsteht dann, wenn der Nutzen, der dem Einzelnen durch seine Anstrengungen erwächst, auch Aussenstehenden zugute kommt. Potenzielle Nutzniesser neigen nun dazu, an dern den Vortritt zu lassen in der Hoffnung, von ihrem Bemühen kostenlos zu profitieren. Bei kotierten Firmen ergibt sich das Problem bei der Überwachung des Treibens des Managements. Darüber detaillierte Informationen zu erhalten, erfordert grossen Aufwand, den kein Aktionär allein tätigen will, da die andern Aktienbesitzer gleichermassen einen Vorteil daraus ziehen. So neigt niemand dazu, die Aufgabe zu übernehmen. Natürlich gibt es Verwaltungsräte, zu deren Kernaufgaben die Kontrolle des Managements gehört. Doch hier besteht erneut ein Principal-Agent-Problem, wenn die Ratsmitglieder, was meistens der Fall ist, nicht bedeutende Aktionäre der Firma sind und daher nicht so stark am Schicksal der beaufsichtigten Firma hängen. Angesichts der begrenzten Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Management überrascht es nicht, dass vor der jüngsten Finanzkrise die hohen Boni der Spitzenmanager eher als Selbstbedienung denn als Leistungsentgelte angesehen wurden. Es entbehrt deshalb nicht einer gewissen Ironie, dass die Bonuszahlungen nun plötzlich doch als leistungsbezogen gelten. Jetzt wird aber bemängelt, dass sie aufgrund des Put-Options-Charakters solcher Leistungslöhne ihre Aufgabe übererfüllen. Die Wirklichkeit sieht allerdings zuweilen anders aus als die Theorie. So auch hier: Zum einen sind Boni im Allgemeinen und anders als viele meinen nicht an die kurzfristige Gewinnentwicklung einer Firma gebunden. Laut der internationalen Personal-Consulting-Firma Hewitt Associates bestehen Bonuszahlungen in den meisten Industrieländern (mit der Schweiz, aber ohne Deutschland) grösstenteils aus Aktien und Optionen, deren Wert stark an den langfristigen Erfolg der beschäftigenden Firma gekoppelt sind. Was viele Politiker heute verlangen – die Anbindung der Gehälter an die langfristige Perspektive der Bank –, ist ohnehin gängige Praxis. Als Beispiel mag das Schicksal von Richard Fuld dienen, dem CEO der Investitionsbank Lehman Brothers, bevor sie im September 2008 pleiteging. Laut einer neuen, empirischen Studie der ETH Lausanne und der Ohio State University über 98 Finanzinstitute erlitt Fuld wegen des Zusammenbruchs seiner Bank einen Portfolioverlust von einer Milliarde Dollar. Eine Put-Option mit einem Ausübungspreis von null sieht anders aus. Ferner stellen die Forschenden fest, dass die unterschiedlich starke Gewinngebundenheit der Entlöhnung keine statistisch gesicherte Auswirkung auf den Erfolg der arbeitgebenden Bank während der Finanzkrise hatte.
Unwissend, ahnungslos
Wenn die Art der Entlöhnung nicht an der Finanzkrise schuld war, was dann? Laut der gleichen Studie muss es wohl auch am Unwissen der Bankmanager über die Risiken der Papiere gelegen haben, mit denen sie handelten. Man fand nämlich heraus, dass die Banker keine Vorkehrungen im Vorfeld der Finanzkrise trafen, um ihre finanziellen Engagements in ihren Instituten vor einem Wertverlust zu schützen. So überzeugt waren sie von den Erfolgsaussichten ihres Tuns und so ahnungslos über die Gefahren. Es wäre interessant, darüber nachzudenken, was Fuld wohl passiert wäre, wenn er die Risiken, auf die er sich einliess, bereits 2005 erkannt und Lehman Brothers davor bewahrt hätte. Vermutlich wäre der Gewinn der Bank innerhalb eines Jahres gefallen und ihr Aktienkurs gesunken. Fuld wäre angesichts der weiter steigenden Profite der ahnungslosen Konkurrenten zum Dummkopf erklärt und verjagt worden. Ähnliches wäre wohl auch den CEOs der insolvent gewordenen Banken Bear Stearns oder Merril Lynch widerfahren, hätten sie so gehandelt. Welche Lehre soll man aus all dem ziehen? Vor allem eine: dass die gegenwärtigen politischen Bestrebungen zur Reform der Entlöhnungssysteme der Banken vermutlich keine Verbesserung bringen werden. Die Ursachen der Finanzkrise lagen nicht in den gewinnabhängigen Bonuszahlungen der Bankmanager. Folglich ist auch nicht dort die Lösung zu suchen. Erfolgreicher dürften vielmehr gut ausgeklügelte Eigenkapitalvorschriften sein, die nicht die Schwächen der bisherigen Regelung (Basel II) aufweisen, sondern dafür sorgen, dass die Banken mit genügend Kapital ausgestattet sind, wenn die Erwartungen der Banker das nächste Mal danebenliegen.