00:00:00:00 - 00:00:35:08 Jörg Rieskamp Wenn wir routiniert immer ein Produkt in der Vergangenheit gekauft haben, was aber vielleicht jetzt nicht mehr zur Verfügung steht, dann vergleichen wir alle Produkte und fragen uns, welches von diesen Produkten es ähnlich zu den, was wir eigentlich favorisieren. Und diese Ähnlichkeit bestimmt letztendlich unsere Entscheidung. Eigentlich würde uns die Ökonomie raten. Wir sollten Produkte unabhängig voneinander vergleichen. Und der Wert eines Produktes, der subjektive Wert, dem wir ein Produkt zuordnen, sollte nur von den Eigenschaften dieses einzelnen Produkt abhängen. 00:00:35:09 - 00:01:08:14 Jörg Rieskamp Es ist aber naheliegend, dass Menschen sich nicht an dieses Prinzip halten und die Eigenschaften von Produkten miteinander vergleichen. Wenn wir jetzt unsere Ressourcen wieder verlieren, würde das eine Einschränkung unserer Möglichkeiten im Leben beinhalten. Und darauf wären wir, reagieren wir sehr sensibel. Also das haben wir wahrscheinlich über unsere Lebensspanne im Prinzip erlernt, dass wir versuchen, das, was wir haben, auch zu sichern. 00:01:08:16 - 00:01:32:01 Catherine Weyer Hallo und herzlich willkommen bei Unisonar, dem Wissenspodcast der Universität Basel. In dieser Staffel schauen wir uns mit Expert*innen an, wie wir unsere Meinung bilden, wodurch wir uns beeinflussen lassen und in welchen Momenten wir vielleicht gar nicht merken, dass wir gerade manipuliert werden. Mein Name ist Catherine Weyer. Bei Unisonar tauche ich mit Expert*innen der Universität Basel auf den Grund ihrer wissenschaftlichen Forschung. 00:01:32:03 - 00:01:53:09 Catherine Weyer Jeden Tag treffen wir hunderte Entscheidungen. Soll ich schon aufstehen? Kauf ich heute mal ein anderes Waschmittel? Wohin gehe ich in die Ferien. Wie wir diese Entscheidungen fällen. Wie wir dabei beeinflusst werden. Und wieso meine persönliche Entscheidung einen Einfluss auf die Gesamtwirtschaft haben kann. Darüber spreche ich mit dem Psychologieprofessor Jörg Rieskamp. Herzlich willkommen. 00:01:53:11 - 00:01:55:09 Jörg Rieskamp Hallo. 00:01:55:11 - 00:02:01:07 Catherine Weyer Herr Rieskamp, wie entscheiden Sie sich? Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, Ihr Herz oder Ihren Kopf. 00:02:01:09 - 00:02:19:18 Jörg Rieskamp Wie so viele entscheide ich mich häufig unterschiedlich und tu das auch auf unterschiedliche Art und Weise. Das heisst, manchmal höre ich eher auf mein Bauchgefühl. Und manchmal mache ich mir sehr viele Gedanken, die beste Entscheidung zu treffen. 00:02:19:20 - 00:02:25:05 Catherine Weyer Man spricht ja auch gern von Intuition. Was hat es damit auf sich? 00:02:25:07 - 00:03:05:06 Jörg Rieskamp Wenn wir von Bauchgefühl und Intuition sprechen, dann meinen wir häufig, dass wir uns nicht ganz bewusst sind über die Gründe, wie wir uns entschieden haben. Das heisst, wir haben ein Gefühl, eine Entscheidung in eine bestimmte Richtung zu bringen, ohne genau zu wissen, warum wir denken, dass es die beste Entscheidung ist. Wenn wir uns mit solchen Entscheidungen beschäftigen in der Forschung, dann sehen wir, dass das häufig Entscheidungen sind, die auf viel Erfahrung beruhen, und Lernprozessen, die wir gemacht haben. 00:03:05:08 - 00:03:18:12 Jörg Rieskamp Und diese Erfahrungen sind uns manchmal gar nicht zugänglich. Und deswegen haben wir dann einfach nur das Gefühl, dass es die richtige Entscheidung ist, ohne genau begründen zu können, warum wir das denken. 00:03:18:13 - 00:03:38:20 Catherine Weyer Wir treffen ja die ganze Zeit irgendwelche Entscheidungen. Wenn wir jetzt das Beispiel nehmen Ich gehe in Supermarkt und das Waschmittel, das ich seit zehn Jahren immer nehme und mit dem ich total zufrieden bin, das gibt's grad nicht. Ich brauche aber dringend eins. Und jetzt habe ich da eine ganze Palette an Angeboten. Wie entscheide ich mich da? 00:03:38:20 - 00:04:06:12 Jörg Rieskamp Das ist ein gutes Beispiel. Wenn wir in Supermarkt gehen, dann treffen wir viele dieser Entscheidungen sehr schnell. Wir wollen auch nicht so lange im Supermarkt verbringen. Das heisst, letztendlich basieren diese Entscheidungen sehr auf Erfahrung. Wir kennen viele Produkte und kaufen sie mehr oder weniger routiniert. Man könnte auch sagen, wir lassen uns von unserer Intuition leiten. Aber wie gesagt, wir haben sehr viele Erfahrungen gemacht mit vielen Produkten. 00:04:06:12 - 00:04:28:05 Jörg Rieskamp Und viele Produkte kaufen wir einfach, weil wir sie immer kaufen. Das Beispiel, was Sie gerade gebracht haben, wäre jetzt eine Situation, in dem wir dann das Produkt, was wir kennen, einfach nicht kaufen können. Und das wäre dann eine Situation, in der wir uns nicht an unseren Routinen orientieren können. Und in einer solchen Situation müssen wir dann tatsächlich über die Situation nachdenken. 00:04:28:07 - 00:04:42:14 Jörg Rieskamp Schauen: Gibt es vielleicht ein alternatives Produkt, was ähnliches zu dem, was wir sonst immer präferieren? Und solche Ähnlichkeitsprozesse würden dann einen grossen Einfluss darauf haben, welche Entscheidungen wir letztendlich treffen. 00:04:42:16 - 00:04:59:14 Catherine Weyer Also ähnlich im Sinne von: Entweder ich schaue auf den Preis oder ich schaue ist es jetzt ein Pulverform oder flüssig? Da werde ich dann für mich entscheiden, was für mich wichtig ist. An dem Produkt, das ich normalerweise brauche. Und dann schaue ich was kommt dem am nächsten? 00:04:59:16 - 00:05:34:17 Jörg Rieskamp Genau. Wir können sagen grundsätzlich Entscheidungsalternativen können immer charakterisiert werden durch mehrere Merkmale. Man spricht in der Forschung auch von Attributen. Hinsichtlich dieser Attribute können wir eine Alternative charakterisieren. Wir können diese Attribute aber auch nutzen, um da in ein Produkt mit einem Produkt zu vergleichen. Also das heisst, wenn wir routiniert immer ein Produkt in der Vergangenheit gekauft haben, was aber vielleicht jetzt nicht mehr zur Verfügung steht, dann vergleichen wir alle Produkte und fragen uns, welches von diesen Produkten ist ähnlich zu denen, was wir eigentlich favorisieren? 00:05:34:19 - 00:06:12:21 Jörg Rieskamp Und diese Ähnlichkeit bestimmt dann letztendlich unsere Entscheidung. Das ist aber nur eine Möglichkeit, wie wir diese Entscheidung treffen können. Wir können natürlich grundsätzlich auch überlegen, ob wir nicht vielleicht mal was ganz Neues ausprobieren wollen. Und das würde dann dazu führen, dass wir beispielsweise den Preis, aber auch alle Eigenschaften dieses Produktes noch mal uns genauer vor Augen führen. Und wenn wir jetzt zum Beispiel sagen, wir möchten uns gesünder ernähren, könnte es dazu führen, dass solche Gesundheitsaspekte dann eine grössere Rolle spielen und dann auch dazu führen, dass wir uns bewusst für ein anderes Produkt entscheiden, was wir als gesünder wahrnehmen. 00:06:12:23 - 00:06:24:00 Jörg Rieskamp Das wäre also eine Änderung unserer Routine. Und das würde bedeuten, dass wir uns dann in diesem Moment viel mehr Gedanken über die Entscheidung machen, als wir das gewöhnlicherweise tun. 00:06:24:02 - 00:06:41:09 Catherine Weyer Ist es typisch, dass man mehrere Produkte zur Auswahl gibt für eine Entscheidung, weil man einfach sagen es gibt, es gibt eine Variante für alle und dann weiss man auch, dass man dieses Produkt loswird. Oder was ist der Reiz, dass man drei Optionen gibt? 00:06:41:11 - 00:07:08:09 Jörg Rieskamp Also grundsätzlich versuchen natürlich Supermärkte oder auch Restaurants ihre Kundinnen und Kunden zufrieden zu stellen. Und wenn ich nur wenige Produkte anbiete, dann kann ich vielleicht die Präferenzen meiner Kundinnen und Kunden nicht abdecken. Also erstmal das Grundprinzip. Deswegen gibt es natürlich nicht nur ein Produkt, sondern viele. 00:07:08:11 - 00:07:12:05 Jörg Rieskamp Dann kann ich aber auch versuchen. 00:07:12:07 - 00:07:40:02 Jörg Rieskamp Die Produkte so zusammenzustellen, dass dann vielleicht bestimmte Produkte eher in den Vordergrund kommen. Also das heisst, wenn ich eher Produkte verkaufen möchte, die einen höheren Preis haben, dann ist es vielleicht auch hilfreich, eher Produkte noch ein weiteres Produkt hinzuzufügen, was einen etwas höheren Preis hat, um den Eindruck zu vermitteln, dass das vielleicht so das allgemein gewünschte Produkt ist. 00:07:40:04 - 00:07:46:21 Jörg Rieskamp Und das führt dann dazu, dass vielleicht Konsumenten sich dann davon auch beeinflussen lassen. 00:07:46:23 - 00:08:07:15 Catherine Weyer Ein anderes Beispiel, das ja auch viele Leute kennen, ist, wenn mal wieder ein neues Smartphone auf den Markt kommt. Und da gibt es ja mittlerweile dann auch Abstufungen, was man jetzt da alles bekommt für sein Geld. Wir haben jetzt hier drei Varianten. Das erste ist Basic, das ist eine einfache Kamera. Das Handy hat relativ wenig Speicher und dafür zahlen wir 600 Franken. 00:08:07:17 - 00:08:43:05 Catherine Weyer Wenn wir das Advanced nehmen, dann kriegen wir eine Top Kamera und viel Speicherplatz für 900 Franken. Und dann gibt es noch die Variante Advanced plus, da gibt es zum Advanced hinzu noch ein spezielles Keramikschild, damit das Handy nicht so schnell zu Bruch geht. Das kostet dann 1200 Franken. Ich glaube, ich würde jetzt bei dieser Auswahl auf das Mittlere gehen, einfach weil ich glaube, dass 300 Franken für die Option, dass vielleicht mein Handy mal zu Bruch geht, mir zu teuer ist. 00:08:43:07 - 00:08:46:11 Catherine Weyer Ist das eine nachvollziehbare Entscheidung für Sie? 00:08:46:13 - 00:09:21:16 Jörg Rieskamp Na ja, was wir Vielleicht können wir dieses Beispiel mal herausgreifen. Was wir sehen, ist, und so haben Sie es ja gerade auch dargestellt, dass Konsumentinnen und Konsumenten Produkte miteinander vergleichen. Also das heisst, man sieht die eine Alternative und vergleicht sie mit der anderen Alternative. Und das widerspricht eigentlich einem gewissen ökonomischen Prinzip, dass wir Menschen eigentlich eine unabhängige Bewertung von jedem Produkt vornehmen sollten. 00:09:21:18 - 00:09:54:21 Jörg Rieskamp Das heisst, wir sollten eigentlich sagen können, wie viel uns ein einzelnes Produkt unabhängig von allen anderen Produkten wert ist. Sprich wenn Sie mir ein Produkt präsentieren, wie das Smartphone, dieses Basic Smartphone, dann sollte ich für mich eine Vorstellung haben, wie wertvoll dieses Produkt ist. Und das sollte unabhängig sein von anderen Produkten. Jetzt haben Sie eine Situation beschrieben, wo es drei Produkte gibt und es ist naheliegend, dass man die Eigenschaften dieser Produkte aber miteinander vergleicht. 00:09:55:01 - 00:10:31:23 Jörg Rieskamp Und dieser Vergleich kann dazu führen, dass diese unabhängige Bewertung von Produkten nicht stattfindet. Also, um das noch mal zu wiederholen eigentlich würde uns die Ökonomie raten. Wir sollten Produkte unabhängig voneinander vergleichen. Und der Wert eines Produktes, der subjektive Wert, den wir einem Produkt zuordnen, sollte nur von den Eigenschaften dieses einzelnen Produkt abhängen. Es ist aber naheliegend, dass Menschen sich nicht an dieses Prinzip halten und die Eigenschaften von Produkten miteinander vergleichen. 00:10:32:01 - 00:10:58:22 Jörg Rieskamp Und das kann dann dazu führen, dass der subjektive Wert davon abhängig ist, welche alternativen Produkte zur Verfügung stehen. Das heisst, wenn wir hier ein Produkt haben, wie zum Beispiel die von Ihnen erwähnte oder dieses erwähnte Advanced Smartphone, dann führt das dazu, dass dieses dieses Produkt ist halt sehr teuer und kann dazu führen, dass wir das andere, etwas teurere Produkt gar nicht mehr als so teuer wahrnehmen. 00:10:59:00 - 00:11:24:23 Jörg Rieskamp Das heisst, es gibt dann halt ein Produkt, was sehr kostspielig ist und dadurch erscheint das andere Produkt, weil es vielleicht immer noch kostspielig ist, aber subjektiv nicht mehr so kostspielig und wird dann gewählt. Das gibt natürlich auch Raum zur Beeinflussung. Das heisst, wenn wir verschiedene Produkte auf Internetseiten vergleichen und es gibt Produkte, die sehr kostspielig sind, dann wählen wir die nicht. 00:11:25:01 - 00:11:56:17 Jörg Rieskamp Aber die sind vielleicht auch nur dort präsentiert, damit uns andere Produkte, die immer noch relativ teuer sind, als nicht so teuer erscheinen. Sie sehen also, dass Menschen dem ökonomischen Prinzip der unabhängigen Bewertung von Alternativen nicht unbedingt folgen, sondern dass sie ein Vergleich stattfindet und dass damit Alternativen sich gegenseitig beeinflussen. Und diese gegenseitige Beeinflussung führt halt dann dazu, dass je nachdem, welche Produkte präsentiert werden, Produkte subjektiv unterschiedlich wahrgenommen werden. 00:11:56:19 - 00:12:18:13 Catherine Weyer Wie realistisch ist es, dass ich unabhängig einem Produkt einen Wert gebe? Weil ich brauche ja, von dem Smartphone zum Beispiel kann ich ja einfach meinen Erfahrungswert abrufen. Was habe ich in der Vergangenheit für mein Handy bezahlt? Aber ich finde das jetzt noch schwierig zu sagen. Ja, dieses Produkt ist 500 Franken wert, deshalb sind jetzt die 600 Franken zu viel. 00:12:18:15 - 00:12:27:02 Catherine Weyer Also im Alltag bin ich ja konstant damit konfrontiert, dass mir andere sagen, was ein Produkt an Wert hat. 00:12:27:04 - 00:12:57:06 Jörg Rieskamp Grundsätzlich ist das richtig. Ähm, es fällt uns einfach häufig schwer, ein Produkt unabhängig ausserhalb eines Kontext zu bewerten. Auf der anderen Seite haben Sie aber nur eine gewisse beschränkte Ressource zur Verfügung. Sie können nicht maximal viel Geld für ein Produkt ausgeben und das heisst, Sie müssen sich schon immer Gedanken machen: Will ich mir das leisten oder nicht? Und wie viel bin ich maximal bereit für ein Produkt zu zahlen? 00:12:57:07 - 00:13:02:14 Jörg Rieskamp Und in der Tat ist das dann vielleicht manchmal recht schwer, wenn man. 00:13:02:16 - 00:13:14:10 Jörg Rieskamp Sich mal was kauft, mit dem man sehr wenig Erfahrung hat. Dann überlegt man sich, wie viel kosten diese Produkte überhaupt und man muss sich im Prinzip schon damit beschäftigen, wie hoch ist die 00:13:14:12 - 00:13:43:03 Jörg Rieskamp Streuung der Preise in diesem Bereich? Wenn man das aber diese Informationen dann zur Verfügung hat, sollte man trotzdem sich überlegen, na ja, wie viel wäre mir dann ein bestimmtes Produkt wert? Und ich glaube, das machen auch viele. Aber wie ich eben gerade schon gesagt habe, lässt man sich dann halt durch diese Vergleiche beeinflussen. Und diese Vergleiche kann man dann als Unternehmen auch nutzen, um bestimmte Produkte in den Vordergrund zu stellen. 00:13:43:05 - 00:14:07:21 Catherine Weyer Ist ein Teil von diesem Wert auch, was ich schon für Erfahrungen mit dem Produkt gesammelt habe. Also jetzt, wenn ich jetzt eine bestimmte Handymarke habe und ich weiss, wie das Telefon funktioniert und ich weiss, ich kann meine Kontakte ganz einfach transferieren. Gibt das dann dem Gerät auch einen bestimmten Wert, dass ich sage Gut, ich bin jetzt bereit, für diese Marke etwas mehr zu bezahlen, weil ich dafür einen gewissen Komfort habe. 00:14:07:23 - 00:14:35:01 Jörg Rieskamp Ja, unsere Erfahrungen haben natürlich einen grossen Einfluss auf unsere Entscheidungen. Und das ist ja auch ein positiver Wert eines Produktes. Wenn ich in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit diesem Produkt gesammelt habe, dann ist es ja auch tatsächlich so: Wenn ich dieses Produkt jetzt in neuer Form noch mal erwerben würde, dass ich dann wahrscheinlich auch relativ zufrieden damit bin aufgrund der Erfahrungen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. 00:14:35:02 - 00:14:58:02 Catherine Weyer Sie haben vorhin erwähnt, man hat nur ein gewisses Budget zur Verfügung und muss sich dadurch entscheiden. Deshalb das letzte Beispiel. Da geht es darum, wenn ich jetzt meinen Job wechsle und es wurden zwei Kandidatin ausgesucht, denen man den Job anbieten möchte. Und zwar ist das ein Job mit einem Jahresgehalt von 100.000 Franken. Bewerberin A. Hat bisher 90.000 Franken verdient. 00:14:58:02 - 00:15:13:16 Catherine Weyer Bewerberin B hat bisher 105.000 Franken verdient. Für Bewerberin A ist es eine Gehaltserhöhung. Bewerberin B müsste eine kleine Lohneinbusse in Kauf nehmen. Wie realistisch ist es, dass Bewerberin B den Job annimmt? 00:15:13:18 - 00:15:44:08 Jörg Rieskamp Ja, das ist eine schwierige Situation. Also zunächst einmal würde natürlich die Bewerberin A, die der ein höheres Gehalt als in der Vergangenheit angeboten wird, diese diese Tätigkeit sehr attraktiv finden, wenn man auf Gehalt verzichten muss. Also im Vergleich zu seiner vorherigen Tätigkeit, dann ist das eine sehr schwierige Situation. Grundsätzlich reagieren Menschen einfach sehr sensibel auf mögliche Verluste und das würde diese Bewerberin natürlich als etwas Verlust wahrnehmen. 00:15:44:10 - 00:16:09:22 Jörg Rieskamp Unabhängig davon, ob vielleicht dieses Gehalt für diese Tätigkeit vollkommen adäquat ist, wird sich diese Bewerberin auf ihre Vergangenheit beziehen und sagen: Na ja, in der Vergangenheit habe ich halt so viel verdient und wenn ich jetzt weniger verdiene, dann kann ich ja die Ausgaben, die ich normalerweise habe, damit gar nicht so ohne Weiteres tätigen. Von daher wird diese Bewerberin auf jeden Fall versuchen, das Gehalt vielleicht noch mal zu verhandeln. 00:16:10:00 - 00:16:29:02 Jörg Rieskamp Wenn das aber nicht verhandelbar ist, dann muss es schon sehr viele Vorteile für diese Tätigkeit geben, dass sich die Bewerberin B trotzdem darauf einlässt. Also beispielsweise, wenn Sie vermeiden kann, täglich zu pendeln, was vielleicht bei ihrer vorherigen Tätigkeit der Fall war, dann ist das natürlich ein grosser Pluspunkt. Und das könnte Sie dann dazu bewegen, diese Tätigkeit trotzdem anzunehmen. 00:16:29:04 - 00:16:46:23 Jörg Rieskamp Grundsätzlich sehen wir aber bei Gehaltsverhandlungen reagieren Menschen sehr sensibel, wenn sozusagen ihre Sicht durch bestimmte Verschlechterungen bei einer Tätigkeit ergeben, auch wenn diese mit gewissen Vorteilen vielleicht einhergehen. 00:16:47:01 - 00:16:59:17 Catherine Weyer Und woran liegt das? Also sagt man, das ist ein Ausdruck der Wertschätzung für meine Arbeit. Und wenn das jetzt weniger ist, ist das quasi man findet meine Arbeit nicht so wertvoll. Oder geht es da um Existenzängste? 00:16:59:18 - 00:17:37:17 Jörg Rieskamp Es sind zwei Dinge, die hier zusammenkommen. Erstens reagieren Menschen allgemein, egal in welchem Bereich es geht, sehr sensibel auf Verluste. Das kann man in unterschiedlichsten Bereichen sehen. Dass Menschen es nicht sehr schön finden, wenn sie Verluste akzeptieren müssen. Der andere Aspekt ist tatsächlich, dass Gehälter nicht nur der Bedürfnisbefriedigung dienen, sondern halt auch ein Ausdruck von Wertschätzung sind und ein Ausdruck des Status ist, den man in einer, in einem Unternehmen oder einer Firma einnimmt. 00:17:37:19 - 00:17:59:22 Jörg Rieskamp Das heisst jenseits, dass ich mir mit Geld oder mit meinem Gehalt bestimmte Dinge leisten kann, dient ein Gehalt auch dazu, mich mit anderen zu vergleichen. Und wenn ich in der bisherigen Firma ein höheres Gehalt hatte, dann ging das ja auch mit einem gewissen Status einher. Und wenn ich jetzt weniger verdiene, würde das ja dann mehr oder weniger bedeuten, dass mein Status dadurch verringert wird. 00:17:59:23 - 00:18:03:06 Jörg Rieskamp Und deshalb reagieren Menschen darauf sehr sensibel. 00:18:03:08 - 00:18:05:19 Catherine Weyer Woher kommen diese Verlustängste? 00:18:05:20 - 00:18:34:14 Jörg Rieskamp Ich glaube, dass wir das gelernt haben, dass wir sozusagen in unserem Leben mit bestimmten Ressourcen umgehen. Und wenn wir dann mehr Ressourcen zur Verfügung haben, bedeutet das letztendlich, dass wir, dass wir bestimmte Möglichkeiten sich ergeben, die wir vielleicht vorher nicht hatten. Und das ist sozusagen ein Lernprozess. Und das bedeutet natürlich im Gegenzug, wenn wir jetzt unsere Ressourcen wieder verlieren, würde das eine Einschränkung unserer Möglichkeiten im Leben beinhalten. 00:18:34:14 - 00:18:49:11 Jörg Rieskamp Und darauf wären wir reagieren wir sehr sensibel. Also das haben wir wahrscheinlich über unsere Lebensspanne im Prinzip erlernt, dass wir versuchen, das, was wir haben, auch zu sichern. 00:18:49:12 - 00:19:06:19 Catherine Weyer Und wenn ich jetzt ein paar Jahre in diesem Job gearbeitet habe, ich verdiene genügend Geld, dass ich auch was auf die Seite legen kann und dann zahle ich was ein in die Säule 3a für meine Altersvorsorge. Und dann ruft mich mein Bankberater an und sagt Ja, das Geld liegt jetzt da einfach auf dem Konto und es passiert nicht viel. 00:19:06:19 - 00:19:28:15 Catherine Weyer Damit. Möchten Sie das nicht anlegen? Und er zeigt mir verschiedene Varianten. Er spricht von Obligationen, er spricht von Aktien, und ich bin völlig überfordert. Wie gehe ich damit um? Soll ich dieses Geld überhaupt anlegen? Was glauben Sie, wie würde ich mich da entscheiden, was ich mit meinem Geld mache? Für meine Altersvorsorge? 00:19:28:17 - 00:19:33:22 Jörg Rieskamp Na, grundsätzlich könnten wir in unserer Forschung zeigen, dass Menschen sehr risikoavers sind. 00:19:34:00 - 00:19:35:08 Catherine Weyer Das heisst, Sie scheuen das Risiko? 00:19:35:13 - 00:20:08:06 Jörg Rieskamp Ja, das gilt in ganz unterschiedlichsten Bereichen, nicht nur bei der Finanzanlage, sondern auch, wenn es um Gesundheitsfragen geht oder Behandlungen im medizinischen Bereich sind Menschen grundsätzlich eher risikoscheu oder risikoavers, wie man auch sagt. Und das gilt aber auch im Finanzbereich. Das heisst, wir scheuen davor zurück, Risiken einzugehen. Auch dann, wenn eine bestimmte Finanzanlage im Durchschnitt einen Gewinn beinhalten würde. 00:20:08:06 - 00:20:45:23 Jörg Rieskamp Bzw. eine positive Rendite beinhaltet. Dann stellt sich die Frage warum gehen wir dieses Risiko nicht ein? Und der Grund liegt darin, dass wir häufig eine sehr kurzfristige Perspektive einnehmen bei der Finanzeinlage. Das heisst, auch wenn wir wie bei der Säule 3a das Geld ja erst im Ruhestand bekommen, also häufig eine relativ langen Anlagehorizont haben, schauen wir aber gar nicht so weit in die Zukunft, sondern haben eher eine kurzfristige Bewertung. 00:20:46:01 - 00:21:13:15 Jörg Rieskamp Das heisst, wir wünschen uns, dass bei einer Finanzanlage vielleicht schon in einem Jahr ein gewisser Gewinn entsteht, wenn wir Geld in Aktien investieren, dann haben wir natürlich das Problem, dass das nicht garantiert werden kann. Das heisst, eine Anlage in Aktien führt halt auf auch in kurzer Sicht häufig auch zu Verlusten. Dann haben wir wieder das Problem, worüber wir schon gesprochen haben, dass nämlich Verluste sehr negativ bewertet werden. 00:21:13:17 - 00:21:33:01 Jörg Rieskamp Und das führt dazu, dass Menschen halt dann nicht bereit sind, das Geld in eine riskantere Anlage zu investieren. Auch dann nicht, wenn diese Anlage langfristig vorteilhafter ist als eine Anlage beispielsweise nur auf dem Sparkonto, wo die Verzinsung ja minimal ist. 00:21:33:03 - 00:21:35:21 Catherine Weyer Und wieso ist das ein Problem? 00:21:35:23 - 00:22:01:17 Jörg Rieskamp Also es ist insofern ein Problem, dass wir uns natürlich wünschen, unser Lebensstandard beizubehalten. Auch wenn wir in den Ruhestand gehen. Und dafür muss ich dann natürlich Vorsorge betreiben und das wird viel einfacher, wenn ich einen gewissen Zinseszinseffekt habe, das heisst, wenn ich eine positive Rendite habe, als wenn ich das Geld so anlege, dass die Rendite relativ mager ausfällt. 00:22:01:23 - 00:22:07:17 Jörg Rieskamp Das würde bedeuten, dass ich einfach viel mehr sparen muss. Und dazu sind dann viele Menschen auch nicht bereit. 00:22:07:19 - 00:22:17:02 Catherine Weyer Sie haben gesagt, die meisten Leute sind risikoavers. Was ist denn mit den anderen? Sind die ein Problem für die Wirtschaft, weil die einfach ständig ihr ganzes Geld verzocken? 00:22:17:04 - 00:22:59:22 Jörg Rieskamp Ein guter Punkt also. Grundsätzlich ist Risikoaversion nichts Falsches. Also das heisst etwas vorsichtig zu sein und sich zu überlegen, wie man Geld anlegt, ist sicherlich sinnvoll. Und in der Tat findet man auch Personen, die weniger risikoavers sind oder risikofreudiger sind. Und das heisst nicht unbedingt, dass sie dann unbedingt die besseren Entscheidungen treffen. Insbesondere kann es sein, dass man dann zu risikofreudig ist oder Produkte wählt, die letztendlich ein hohes Risiko beinhalten, aber dieses hohe Risiko nicht durch eine extrem hohe Rendite kompensieren. 00:23:00:00 - 00:23:36:14 Jörg Rieskamp Und das ist dann natürlich auch problematisch. Also praktisch bedeutet es wenn wir in einen Fonds investieren, dann sind wir relativ weit diversifiziert. Das heisst, ein Fonds bedeutet ja, dass man in ganz viele unterschiedliche Aktien beispielsweise investiert. Damit hat man eine gewisse Diversifikation. Wenn man aber jetzt sehr risikofreudig ist und seine Fähigkeiten vielleicht auch etwas überschätzt, könnte das dazu führen, dass man nur ganz spezifische Aktien auswählt, weil man glaubt, diese würden sich in der Zukunft sehr positiv entwickeln? 00:23:36:16 - 00:23:46:11 Jörg Rieskamp Und diese Zuversicht ist in der Regel nicht gerechtfertigt und führt dann letztendlich dazu, dass die Rendite dann auch nicht so positiv ausfällt, wie man sich das wünscht. 00:23:46:13 - 00:23:53:05 Catherine Weyer Wie funktioniert denn der Entscheidungsprozess bei so risikofreudigen Personen? Haben die einfach keine Verlustangst? 00:23:53:07 - 00:24:28:05 Jörg Rieskamp Personen, die sehr risikofreudig sind? In der Tat, kennzeichnen sich einfach dadurch, dass sie Verlusten weniger Bedeutung geben. Beispielsweise, dass sie vielleicht auch eher eine kurzfristigere Perspektive einnehmen und auch einfach sehr davon überzeugt sind, dass sie das entsprechende Wissen haben, um Entscheidungen zu treffen. Häufig ist es auch so, dass Sie mehr Wissen haben, aber dieses Wissen ist nicht unbedingt geeignet, um vorherzusehen, wie sich bestimmte Anlageprodukte entwickeln. 00:24:28:07 - 00:24:39:13 Catherine Weyer Sie haben in Ihrer Forschung auch den amerikanischen Finanzmarkt erwähnt. Dort spielt das, glaube ich, noch extremer, dass Leute ihr Privatvermögen anlegen. 00:24:39:15 - 00:24:44:05 Catherine Weyer Hat das einen Einfluss auf den Gesamtmarkt? 00:24:44:07 - 00:25:16:13 Jörg Rieskamp Grundsätzlich sehen wir einfach in vielen Ländern die Entwicklung, dass man Menschen mehr Freiheit einräumen möchte. In ihrem Vorsorgeentscheidung. In der Schweiz bezieht sich das weitestgehend auf die Säule 3A, die aber nur einen kleinen Komponente der Vorsorge ausmacht. In anderen Ländern haben wir Entwicklungen, die nannten das Beispiel USA, in denen die Menschen eine grössere Freiheit haben bei ihren Vorsorgeentscheidung. 00:25:16:15 - 00:25:24:14 Jörg Rieskamp Grundsätzlich ist es ja auch nicht verkehrt, Menschen Freiheit einzuräumen und von einem aufgeklärten 00:25:24:16 - 00:25:46:11 Jörg Rieskamp Konsumenten oder Konsumentin auszugehen. Das kann aber dazu führen, dass diese Vorsorgeentscheidung dann im Einzelnen nicht sehr positiv ausfallen und damit dann gesamtgesellschaftlich auch dazu führen, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt, die dann halt nicht gut vorgesorgt hat. 00:25:46:13 - 00:25:56:19 Catherine Weyer Also es bedeutet, der Staat hat ein Interesse daran, dass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger gut informiert ihre Finanzen anlegen. 00:25:56:21 - 00:26:32:21 Jörg Rieskamp Genau. Der Staat hat immer das Problem, dass er sich überlegen muss: Soll ich in einem bestimmten Bereich eingreifen und reglementieren? Diese Reglementierung kann dazu führen, dass das die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt wird, kann aber den Vorteil haben, dass bestimmte Fehlentscheidungen dann nicht möglich sind. Und im Rahmen der Rentenvorsorge ist es vielleicht auch sehr wichtig, dass eine gewisse Reglementierung vorhanden ist, damit der Staat letztendlich dann nicht für Personen aufkommen muss, die vollkommen falsche Entscheidungen treffen. 00:26:32:23 - 00:26:49:11 Catherine Weyer Also was ich jetzt aus unserem Gespräch mitnehme, ist, dass die Menschen grundsätzlich keinen Verlust möchten und sie sind deshalb risikoavers. Haben Sie einen Tipp für mich, für meinen Alltag, wie ich meine Entscheidungen in Zukunft treffen soll? 00:26:49:13 - 00:27:28:07 Jörg Rieskamp Grundsätzlich ist es wahrscheinlich nicht verkehrt, sich auf seine Erfahrung zu verlassen, sprich die Dinge, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben, die werden wahrscheinlich auch für die Zukunft bei Ihnen gut funktionieren. Und so können sie auch Ihrem Bedürfnis, Risiken zu minimieren, gut entgegentreten, so dass Sie nicht jedes Mal alles ganz neu machen. Wenn Sie aber das Gefühl haben, Sie wollen Dinge verändern, dann ist es halt einfach sehr sinnvoll, sich ausführlich zu informieren, sich aufklären, zu lassen über neue Produkte, neue Produktentwicklungen und dann ja informierte Entscheidungen zu treffen. 00:27:28:09 - 00:27:31:21 Catherine Weyer Gut, dann werde ich das nächste Mal versuchen. Jörg Rieskamp, vielen herzlichen Dank. 00:27:31:23 - 00:27:34:23 Jörg Rieskamp Sehr gerne. 00:27:35:01 - 00:28:07:09 Catherine Weyer Das war Unisonar, der Wissenspodcast der Universität Basel. Dies ist das Ende der siebten Staffel. Seid ihr an weiterer Forschung an der Universität Basel interessiert? In der letzten Staffel sprachen wir über das Thema Gender. Unter anderem mit einer Rechtswissenschaftlerin, einem Ethnologen und einer Sprachwissenschaftlerin. Neue Folgen zu einem neuen Thema gibt's zum Frühjahrssemester 2026. Bis bald.